„Ein Sturz ist kein Problem, wenn dadurch ein Aufstieg folgt.“ (Geflüchtete*r)

- Verena Hofmann –

Die Identität Geflüchteter konstruktiv umzudeuten, kann deren positives Selbstbild stärken und sie darin bekräftigen, sich höhere akademische Ziele zu setzen und zu verfolgen.

 

Im Jahr 2020 befand sich Deutschland auf Platz fünf im internationalen Vergleich der Aufnahme Asylsuchender. Die Inklusion der Geflüchteten ist derzeit mit vielen Herausforderungen verbunden. Bei der Diskussion dieser Thematik vermitteln Verantwortliche häufig das Bild von schwachen, abhängigen Opfern, beispielsweise um mehr der wichtigen Spendengelder zu generieren. Allerdings fördern solche Darstellungen auch die Stigmatisierung, d. h. die negative Bewertung der Geflüchteten aufgrund von Merkmalen wie Religion oder Hautfarbe.

Bisherige Untersuchungen zeigen, dass solche Stereotype oftmals Selbstzweifel in den Betroffenen auslösen, was zum Beispiel deren Möglichkeiten einschränken kann, Lernangebote effektiv zu nutzen. Gleichzeitig kann es stigmatisierten Studierenden helfen, bessere Leistungen zu erbringen, wenn deren Kultur und Identität positiv dargestellt werden.

Ein Forschungs­team um Christina A. Bauer vermutete auf Grundlage dieser Er­kenntnisse, dass die Betonung der durch die Flucht erworbenen Stärken das Selbstbild Geflüchteter verbessern kann. Dies sollte die Geflüchteten wiederum darin bestärken, sich höhere akademische Ziele zu setzen und zu verfolgen.

Um diese Vermutungen zu überprüfen, führten die Forschenden zwei Experimente durch.  In einem ersten Online-Experiment baten sie 93 nach Europa Geflüchtete, sich vorzustellen, bald ein Online-Studium an einer deutschen Universität aufzunehmen. Dabei teilten die Forschenden die Teilnehmenden in zwei gleichgroße Gruppen ein: Die Interventions­gruppe erhielt Material mit lebhaften Zitaten vermeintlicher Studierender mit Migrations­hintergrund, die davon berichteten, wie ihnen ihre Fluchterfahrung im Uni-Alltag helfe. Es sollte vermittelt werden, dass Geflüchtete nicht trotz oder zusätzlich zu ihrer Fluchtgeschichte, sondern aufgrund dieser Geschichte viele Stärken besäßen. Die Kontroll­gruppe erhielt Material, das allgemeine Lern­strategien für das Studium behandelte. Wie erwartet gingen Teilnehmende der Interventions­gruppe im Vergleich zur Kontroll­gruppe bestärkter aus der Beschäftigung mit ihrem Material heraus. Zum Beispiel suchten sie sich nachfolgend schwierigere Denkaufgaben zur Bearbeitung aus und beschrieben sich in der Darstellung ihrer eigenen Fluchtgeschichte als motivierter, stärker und selbstbestimmter.

In einem Folgeexperiment arbeitete die Forschungs­gruppe mit einer digital geführten Universität zusammen, die kostenfreie Kurse für Geflüchtete anbietet. Mehr als 500 Studierende mit Fluchterfahrung bearbeiteten zu Studien­beginn dasjenige Material, welches auch im ersten Experiment eingesetzt worden war. Den Erwartungen entsprechend zeigte sich im Folgejahr, dass Studierende aus der Interventions­gruppe die Lernplattformen der Universität zu 23 Prozent häufiger nutzten als Personen aus der Kontroll­gruppe. Zudem hatten sie sieben Monate nach der Intervention 39 Prozent mehr Kurse abgeschlossen.

Demzufolge kann die positive Umdeutung der Identität Geflüchteter diese auf ihrem Bildungs­weg bestärken. Mithilfe des von den Forschenden genutzten Materials könnten zukünftig mit geringem Aufwand Studierende mit Fluchtgeschichte erreicht und deren Selbstzweifel aufgrund von Stigmatisierung durch eine positive Umdeutung ersetzt werden. Auf diese Weise könnten die Geflüchteten also gut darin unterstützt werden, ihre Fähigkeiten effektiv in den geschaffenen Bildungs­angeboten einzubringen.

 

 

Bauer, C. A., Boemelburg, R., & Walton, G. M. (2021). Resourceful actors, not weak victims: Reframing refugees’ stigmatized identity enhances long-term academic engagement. Psychological Science, 32(12), 1896-1906. https://doi.org/10.1177/09567976211028978

UNHCR The UN Refugee Agency (2020). Global trends forced displacement in 2020. https://www.uno-fluechtlingshilfe.de//fileadmin/redaktion/PDF/UNHCR/Global_Trends_2020.pdf

Redaktion und Ansprech­partner*in¹: Bianca von Wurzbach¹, David Grüning

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