Einmal Schubladendenken, immer Schubladendenken?

- Nora Frey –

Die Einteilung von Objekten oder Menschen in Kategorien führt zu einer verzerrten Wahrnehmung, die auch dann noch bestehen bleibt, wenn die Kategorien aufgehoben werden.

Menschen kategorisieren – ob nun Objektklassen wie „Möbel“ oder „Nahrung“ unter­schieden oder Menschen in Gruppen wie „Frauen“ oder „Rentner“ eingeteilt werden. Im Alltag kann das durchaus sinnvoll sein, denn das Einteilen in Kategorien macht einiges einfacher für uns. Wie der Informatiker sagen würde, wird dabei eine Menge an „Arbeits­speicher“ in unserem Gehirn freigehalten, da Kategorisieren eine tiefere Verarbeitung überflüssig macht. Dieser freie „Speicherplatz“ steht uns dann für andere kognitive Prozesse zur Verfügung. Es führt allerdings auch dazu, dass wir nicht den ganzen Facettenreichtum eines Objekts betrachten. Wichtige Informationen kommen uns abhanden, da wir verstärkt auf die Eigenschaften fokussieren, die das Objekt zu einem Teil der Kategorie machen. Damit werden verschiedene Objekte einer Kategorie als ähnlich wahrgenommen. Frauen, die wir beispielsweise als „Karrierefrauen“ kategorisiert haben, werden wir automatisch als ehrgeizig und zielstrebig einstufen. Dass die Eine eine liebevolle Mutter und die Andere eine sehr gute Fußballerin ist, wird außer Betracht gelassen. Wir ignorieren also einen Teil ihrer Individualität und konzentrieren uns auf das, was sie ähnlich macht.

Ein weiteres Problem gebildeter Kategorien ist auch ihre Hartnäckigkeit. Francesco Foroni und Myron Rothbart haben diesen Umstand näher unter­sucht. Sie betrachteten zum einen die erwähnten Aus­wirkungen von Kategorien auf das Ähnlichkeits­empfinden. Zum anderen versuchten sie durch Entkräften der Kategorie das Kategoriendenken zu reduzieren.

Ihre Studie bestand aus drei Phasen, in denen jeweils neun Frauensilhouetten, geordnet nach ihrer Körperfülle, gezeigt wurden. Im Anschluss an jede Phase wurden den Teilnehmenden zwei der Silhouetten gezeigt, die hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit bewertet werden sollten. In Phase zwei wurden die neun gezeigten Silhouetten für einen Teil der ProbandInnen zusätzlich in die Kategorien „magersüchtig“, „normalgewichtig“ und „fettleibig“ eingeteilt. Zu Beginn der dritten Phase bekamen einige Teilnehmende aus dieser Gruppe dann mitgeteilt, dass diese zuvor gemachte Einteilung laut neuerer Studien keine Aussagekraft habe, da sie den individuellen Unter­schieden des menschlichen Körpers nicht gerecht würde. Damit sollte die Kategorisierung rückwirkend entkräftet werden.

Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass ProbandInnen, denen Kategorien vorgelegt worden waren, verschiedene Silhouetten einer solchen Kategorie (z.B. magersüchtig), als einander ähnlicher empfanden als das ProbandInnen taten, die nichts von möglichen Kategorien wussten. Außerdem fand das Forscher­team heraus, dass das Entkräften der Kategorien nichts an dieser Wahrnehmungs­verzerrung änderte. Hat man ein Objekt einmal in eine Schublade gesteckt, ist es also scheinbar nicht ganz so einfach, es dort wieder herauszubekommen.

Ist dies nun der Weisheit letzter Schluss? Sicherlich nicht! Wie dieser Artikel zeigt, reicht es zwar nicht aus, einfach bestimmte Kategorien mit einem Satz für nichtig zu erklären. Schubladendenken ist, wenn es einmal besteht, tief in unserem Denken verwurzelt. Weitere Forschung zeigt jedoch, dass wir unsere Schubladen am ehesten ablegen können, wenn wir wiederholt an vielen Beispielen merken, dass unsere Kategorien doch differenzierter sind als wir es uns ausmalen. Dafür muss man aber „genauer hinschauen“ – und das sollten wir alle vielleicht öfter versuchen. 

Foroni, F., & Rothbart, M. (2013). Abandoning a label doesn’t make it disappear: The perseverance of labeling effects. Journal of Experimental Social Psychology, 49, 126–131.

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