Emotionen am Tatort: Ein Blick durch die VR-Brille

- Verena Weihberg –

Emotionen beeinflussen kriminelle Entscheidungen. Diese Emotionen können nun durch neue Technologien wie virtueller Realität realitätsnah hervorgerufen und erforscht werden.

 

Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einer Bar, es ist laut, Menschen reden, lachen und trinken. Plötzlich eskaliert die Situation: Jemand wird wütend, handelt übergriffig oder es kommt zu einer Schlägerei. Wie kommt es zu solchem Verhalten? Und welche Rolle spielen Emotionen dabei?

Die Kriminalitätsforschung hat sich lange auf die Wahrnehmung von Risiken konzentriert, wie die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden. Aber auch Emotionen wie Wut, Angst oder sexuelle Erregung können kriminelle Entscheidungen und Verhalten stark beeinflussen, indem sie beispielsweise zu bestimmten Verhalten motivieren oder die Wahrnehmung von Risiken verzerren. So vermittelt Wut oft ein Gefühl von Kontrolle und führt dazu, Gefahren zu unter­schätzen. Angst hingegen verstärkt Unsicherheiten und lässt Risiken größer erscheinen. Bislang wurden solche Emotionen jedoch seltener unter­sucht, weil sie schwer realitätsnah und ethisch vertretbar messbar sind. Häufig kommen Texte mit hypothetischen Szenarien zum Einsatz, die echte Emotionen aber nicht realistisch abbilden.

Um diese Lücke zu schließen, unter­suchte eine Studie, ob virtuelle Realität (VR) gezielt Kriminalitäts-relevante Emotionen wie Wut oder sexuelle Erregung auslösen kann. Mit Hilfe von 360°-Videos, die typische Barszenen mit Geräuschen, Körpersprache und räumlicher Atmosphäre nachstellten, wurden emotionale Reaktionen direkt und realitätsnah unter­sucht.

An der Studie nahmen 101 junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren teil. Jeder von ihnen wurde zufällig einem von drei Rundum-Videoszenarien zugeteilt: Entweder provozierte ein Fremder sie lautstark, eine Frau flirtete mit ihnen, oder sie erlebten eine neutrale Szene ohne besondere Ereignisse. Das Forschungs­team erwartete, dass die Videos gezielt Wut oder sexuelle Erregung auslösen könnten, ohne dabei andere Emotionen wie Angst zu verstärken – ein entscheidender Unter­schied, da Angst Entscheidungen anders beeinflusst.

Die Ergebnisse zeigen: Im Vergleich zur neutralen Szene löste die Provokation Emotionen wie Ärger, Ekel und Frustration aus, jedoch keine Angst. Die Flirtszene verstärkte hingegen sexuelle Erregung und Anziehung der Teilnehmer. Alle Szenarien wurden als glaubwürdig wahrgenommen, was die Eignung von VR für die Emotions­forschung bestätigt. Insgesamt bestätigte sich damit die Annahme des Forschungs­teams: dass VR eine effektive Methode ist, um echte Emotionen in realistischen Situationen auszulösen.

Die Studie hat jedoch Grenzen: Sie unter­suchte ausschließlich junge Männer, wodurch die Ergebnisse nicht direkt auf andere Gruppen übertragbar sind. Künftige Studien könnten diversere Personen teilnehmen lassen und noch andere emotionale Szenarien testen. Außerdem bleibt VR eine Simulation, die reale Einflüsse wie sozialen Druck oder physische Konsequenzen nur begrenzt nachbilden kann.

Fazit: Virtuelle Realität bietet eine innovative Methode, um emotionale Prozesse realitätsnah aber in einer sicheren, kontrollierten Umgebung zu unter­suchen und damit künftig neue Einblicke in kriminelle Entscheidungen im Affekt zu gewinnen. Mit der Weiter­entwicklung dieser Technologie wächst auch ihr Potenzial, menschliches Verhalten – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht – besser zu verstehen und damit wichtige Er­kenntnisse für Forschung und Prävention zu gewinnen.
 

Herman, S., Barnum, T. C., Minà, P. E., Wozniak, P., & Van Gelder, J. L. (2024). Affect, emotions, and crime decision-making: emerging insights from immersive 360° video experiments. Journal of Experimental Criminology, 1–34. https://doi.org/10.1007/s11292-024-09615-y

Redaktion und Ansprech­partner*in¹: David Grüning ¹,Jana Berkessel

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