Entscheidungen „im Schlaf“

- Rainer Greifeneder –

Warum Entscheidungen auf der Grundlage unbewusster Prozesse häufig gut sind.

Großmutter rät, über wichtige Entscheidungen „einmal zu schlafen“. Nicht, weil man wichtige Angelegenheiten immer aufschieben sollte, sondern offensichtlich, weil überschlafene Entscheidungen manchmal bessere Entscheidungen sind. Dass Großmutters Rat alles andere als altbacken ist, zeigt eine Reihe spannender Arbeiten aus der Arbeits­gruppe um den niederländischen Sozialpsychologen Ap Dijksterhuis. Die zentrale Botschaft der Forscher ist, dass intensives bewusstes Nachdenken nicht immer der Königsweg zu guten Entscheidungen ist. Vielmehr sollte man gerade bei komplexen Problemen unbewussten Denkprozessen vertrauen.

Diese Aussage widerspricht dem weit verbreiteten Ideal, bei wichtigen Entscheidungen das Für und Wider bewusst abzuwägen, am besten noch mit einer Liste und aus allen Blickwinkeln. Doch Dijksterhuis und Kollegen argumentieren, dass wir mit bewusstem Nachdenken nur einen Bruchteil der Informationen verarbeiten können, die insgesamt tagtäglich auf uns einströmen. Tatsächlich dringt nur wenig des täglichen Erlebens in unser Bewusstsein vor, während vieles unbewusst wahrgenommen und verarbeit wird. Wenn es nun gelingt, diese unbewusst verfügbaren Informationen für Entscheidungen zu nutzen, dann könnten diese besser als bewusst getroffene Entscheidungen sein.

Das Forscherteam hat die Probe aufs Exempel gemacht. Die Teilnehmenden ihrer Studie sahen in kurzer Zeit eine große Menge an Informationen über verschiedene Wohnungen in Amsterdam, wie beispielsweise deren Größe, Ausstattung und Preis. Die Aufgabe der Probanden war es, anhand dieser Merkmale die beste aus den gezeigten Wohnungen zu benennen. Diese Entscheidung war schwierig, weil die Informationen nicht nach Wohnungen geordnet, sondern einzeln und wild gemischt gezeigt wurden (z.B. Wohnung 1: teuer; Wohnung 2: 80qm, usw.). Ein Drittel der Teilnehmenden sollte sich sofort für eine Wohnung entscheiden. Ein zweites Drittel sollte zuerst vier Minuten intensiv und bewusst über die Frage nachdenken und dann antworten. Das letzte Drittel schließlich wurde für vier Minuten mit einer anstrengenden anderen Aufgabe abgelenkt, so dass sie nicht bewusst über die Entscheidung nachdenken konnte. Erstaunlicherweise wählte gerade diese letzte Gruppe am häufigsten die beste Wohnung aus, traf also bessere Entscheidungen. Das Forscherteam argumentiert, dass dies auf die Leistung unbewusster Prozesse zurückzuführen ist.

Doch woher wusste die dritte Gruppe, welche Wohnung auf der Basis unbewusster Prozesse als die beste ausgewählt worden war? Schließlich sind wir uns der unbewussten Prozesse ja per definitionem nicht bewusst. Offensichtlich hilft hier unsere Intuition oder unser „Bauchgefühl“. Nach dem Schlafen „weiß“ man einfach, welche Wohnung oder welches Auto man nimmt (oder lieber nicht nimmt), weil es sich gut oder richtig (oder eben schlecht und falsch) anfühlt. Manchmal kann es daher gut sein, nicht bewusst über eine Entscheidung nachzudenken oder gar zu grübeln, sondern die Arbeit an unbewusst ablaufende Prozesse zu delegieren und dann auf sein Gefühl zu vertrauen.

Dijksterhuis, A. (2010). Das kluge Unbewusste: Denken mit Gefühl und Intuition. Klett-Cotta: Stuttgart.

© Forschung erleben 2010, alle Rechte vorbehalten

Zurück