Foltern aus Tradition?
Die Bilder von Folterpraktiken im afghanischen Abu Ghuraib Gefängnis lösten weltweit eine Diskussion über die Verbreitung und Berechtigung von Foltermethoden aus. Waren solche Verhörtechniken einzigartig in Abu Ghuraib oder ist Folter am Ende nach wie vor ein routiniertes Mittel der Kriegsführung? Die Bevölkerung in vielen Ländern reagierte mit Entsetzen und Empörung auf den Einsatz solcher Methoden. Weit weniger negative Einschätzungen treten allerdings auf, wenn diese Methoden als traditionsbasiert dargestellt werden.
Zu diesem Schluss kommt ein Forschungsteam um Christian Crandall. Die ForscherInnen prüften, ob Foltermethoden stärker befürwortet werden, wenn sie als traditionsreich und seit langer Zeit gebräuchlich beschrieben werden. Die Ausgangsbasis der Überlegungen von Crandall und KollegInnen waren psychologische Studien, die zeigen, dass Menschen lange Bewährtes häufig als gut betrachten und den Status Quo beibehalten möchten. Crandall und KollegInnen leiteten daraus die Hypothese ab, dass auch die Darstellung von bestimmten Foltermethoden als Teil des Status Quo zu einer größeren Akzeptanz der Techniken führen sollte.
Das Forschungsteam befragte eine bevölkerungsrepräsentative Stichprobe von US-Bürgern zu ihrer Einstellung zu Foltermethoden im Nahen Osten. Der Hälfte dieser Stichprobe präsentierte das Forschungsteam zuvor einen Text, der die verwendeten Methoden als neu und erstmalig eingesetzt darstellte. Die andere Hälfte las einen Text, in dem die eingesetzten Methoden als nicht neu, sondern „schon seit mehr als 40 Jahren vom US Militär eingesetzt“ beschrieben wurden. Crandall und KollegInnen fanden deutliche Unterschiede in der Zustimmung zwischen den beiden Gruppen: die Einstellung zu Folter war positiver, wenn die Techniken zuvor als traditionsreich und zum Status Quo gehörend beschrieben wurden. Dieser Unterschied war ähnlich groß, wie Unterschiede in Abhängigkeit verschiedener politischer Einstellungen (demokratisch, republikanisch, parteipolitisch unabhängig).
Vor dem Hintergrund früherer psychologischer Studien zum Status Quo geht das Forschungsteam davon aus, dass die Teilnehmenden der Studie auf eine einfache Faustregel zurück griffen: „gibt’s schon lange = ist gut“. Die Arbeit liefert damit einen Hinweis darauf, dass einfache Entscheidungsregeln demokratische Prinzipien fundamentieren, aber auch ins Wanken bringen können.
Crandall, Christian S., Eidelmann, Scott, Skitka, Linda J. & Morgan, G. Scott (2009). Status quo framing increases support for torture . Social Influence, 4, 1–10.
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