Gesichter machen Leute – oder nicht?

- Sebastian Bierbaum & Paola Burghardt –

Menschen beurteilen andere schnell oberflächlich aufgrund ihrer Gesichtszüge, was durch Training aber reduziert werden kann.

„Ein Gesicht sagt mehr als tausend Worte“ heißt es allgemeinhin. Aber was verbirgt sich hinter dem Sprichwort? Helfen uns Gesichter dabei, unsere Gesprächs­partner*innen richtig einschätzen zu können?

Kurz gesagt – vermutlich nein. Denn wenn wir andere Menschen anhand ihrer Gesichter beurteilen, verlassen wir uns auf Gesichtsstereotype, also dem umgangssprachlichen „Schubladendenken“. Gesichtsstereotype sind eine Hilfe, um andere schnell einschätzen zu können. Allein ein freundlich oder trüb schauendes Gesicht kann jemanden fast zu einer anderen Person machen. Aber auch weniger offensichtlich wirken bestimmte Konstellationen aus Lippenform, Augengröße, Augenbrauen (und mehr) zum Beispiel eher vertrauenswürdig oder eben nicht. Bei diesem schnellen Einschätzungs­prozess entstehen häufig Verzerrungen, die zu falschen Urteilen und Diskriminierung führen können.

Doch besteht die Möglichkeit, etwas dagegen zu tun und diese Stereotype zu verändern?

Ein Forschungs­team um Kao-Wei Chau beschäftigte sich mit dieser Frage in mehreren Studien. In einem computer­basierten Vertrauensspiel hatten Teilnehmer*innen die Möglichkeit, in mehreren Runden eine niedrige Geldsumme mit ihrem Gegenüber zu teilen. Jeder Betrag, der geteilt wurde, wurde daraufhin verdreifacht, worauf der oder die Partner*in die Möglichkeit hatte, den Teilnehmenden einen beliebig großen Teil des Geldes zurückzugeben – oder auch alles zu behalten. Wem würden die Teilnehmenden also vertrauen?

Sowohl die Teilnehmenden selbst als auch ihre Gegenüber wurden mit Gesichtern dargestellt. Die vermeintlichen Spiel­partner*innen waren jedoch vom Forschungs­team programmiert und hatten entweder typisch vertrauenswürdige Gesichtsmerkmale oder gerade nicht vertrauenswürdige.  

Zentral war zudem, dass vor dem Vertrauensspiel alle Teilnehmenden zunächst an einem angeblichen Gedächtnistest für Gesichter teilgenommen hatten. Hierbei sollten sie sich Gesichter und dazu präsentierte Namen oder Sätze, die das Verhalten der dargestellten Person beschrieben, merken. Einem Teil der Teilnehmenden (der Trainings­gruppe) wurden Gesichter mit wenig vertrauenswürdigen Gesichtszügen zu 80% mit positiven Verhaltensweisen präsentiert, während die Gesichter mit typisch vertrauenswürden Merkmalen zu 80% mit negativen Verhaltensweisen in Verbindung gebracht wurden. Diese Lern­phase sollte gängige Gesichtsstereotype abtrainieren.

Die Ergebnisse im Vertrauensspiel zeigen, dass den typisch vertrauenswürdigen Gesichtern im Schnitt tatsächlich mehr Geld anvertraut wurde als Spiel­partner*innen mit weniger vertrauenswürdigen Gesichtern. Allerdings zeigte sich dieser Unterschied nicht in der trainierten Gruppe. Sie vertrauten ihrem Gegenüber, unabhängig von den variierten Gesichtsmerkmalen, im Schnitt gleich viel Geld an.

Die Forschenden leiten aus diesen Beobachtungen ab, dass durch ein kurzes Training die Assoziationen zwischen bestimmten Gesichtsmerkmalen und erwarteten Eigenschaften oder Verhaltensweisen (zumindest für eine bestimmte Zeit) verändert werden können.

Was bedeutet das für den Alltag? Wir sollten uns darüber bewusst sein, dass Gesichter uns in der Regel hinters Licht führen können. Beim Einschätzen einer unbekannten Person kann es demnach besser sein, sich nicht zu sehr auf bestimmte Gesichtszüge zu verlassen. So kann man einer Person lieber mehr Zeit geben, um diese besser kennenzulernen. Zudem könnten Medien wie Filme oder Werbung auf breiterer Ebene gegen Diskriminierung wirken, indem sie ein ähnliches „Training“ wie in den Studien bieten, wenn sie von gängigen Gesichtsstereotypen abweichen. 

 

Chua, K. & Freeman, J. (2020). Facial stereotype bias is mitigated by training. SAGE. Advance online publication. https://doi.org/10.1177/1948550620972550

Redaktion und Ansprech­partner*in¹: Janin Rössel¹, Selma Rudert

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