Gruppen­druck in Sachen Gefühle

- Birgit Gutzer –

Asiaten ziehen zur Beurteilung des emotionalen Gesichtsausdrucks stärker den sozialen Kontext heran als Amerikaner.

Das Gesicht eines Menschen ist vermeintlich ein offenes Buch über dessen Gefühle. Ratgeber zu nonverbalen Signalen wollen uns Glauben machen, dass die Richtung der Mundwinkel und der Augenbrauen  als Information über den Gefühlszustand des Gegenübers genügen. Traurigkeit soll sich demnach daran ablesen lassen, dass die äußeren Augenbrauen als auch die Mundwinkel nach unten zeigen.

Doch zumindest in gewissen Kulturen reicht diese Information bei der Interpretation des emotionalen Gesichtsausdrucks nicht aus. Auch die zur Schau gestellten Gefühle innerhalb des sozialen Kontexts, also bei den Menschen in der unmittelbaren Umgebung der Person, gehen dort in die Beurteilung der Mimik mit ein.

Dieser Idee gingen die Forscher um Takahiko Masuda und Phoebe Ellsworth in einer kultur­übergreifenden Studie auf den Grund. Sie nahmen an, dass Japaner im Vergleich zu Amerikanern bei der Interpretation eines Gesichtsausdrucks stärker durch den sozialen Kontext beeinflusst sind.

Um dies zu untersuchen, sollten amerikanische und japanische Studierende der Universitäten Michigan und Kyoto anhand eines gezeichneten Bildes die Gefühle der zentralen Person einschätzen, die sich auf der Abbildung inmitten einer Gruppe aus vier anderen Personen befand. Dabei unterschied sich der Grad an gezeigter Freude, Traurigkeit oder Ärger der Zielperson sowie das Ausmaß und die Art der jeweiligen Gefühle bei der umgebenden Gruppe zwischen den Abbildungen. Die Aufgabe der Probanden bestand darin, bei jedem Bild das Ausmaß der unterschiedlichen Emotionen der Person im Zentrum zu beurteilen.

Die Forscher vermuteten, dass die Amerikaner ihre Aufmerksamkeit nur auf die Zielperson richten würden um den Gesichtsausdruck zu interpretieren, während die Japaner die ganze Gruppe beachten würde.

Die Ergebnisse unterstützen diese Hypothesen. Sie zeigen, dass die Urteile der Asiaten stärker vom Kontext der zu beurteilenden Person beeinflusst wurden als die der Amerikaner. Die japanischen Studierenden schätzten den Grad der Emotionen bei Bildern, in denen der emotionale Ausdruck der Zielperson ein anderer war als der der Gruppe, gemäßigter ein als bei Übereinstimmung des Gesichtsausdrucks. Dies war bei den amerikanischen Studierenden nicht der Fall. Zudem fokussierten die Amerikaner nur die Zielperson, während die Japaner ihre Aufmerksamkeit erst auf die Person in die Mitte richteten, danach jedoch ihren Fokus auf die Gruppe verlagerten.

Die Erklärung für diese Unterschiede im Beurteilen von emotionaler Mimik liegt wahrscheinlich in der unterschiedlichen Sozialisation von Asiaten und Amerikanern.
Menschen aus westlichen Kulturkreisen betrachten Emotionen als innere persönliche Reaktionen auf eine Situation, die vor allem über das eigene Gesicht vermittelt wird. Gefühle sind für sie etwas Individuelles, das nicht von anderen Menschen abhängig ist.

Demgegenüber sind für Japaner die Gefühle einer einzelnen Person untrennbar von den Emotionen und Reaktionen der sozialen Gruppe. In der asiatischen Kultur gehört es zum reifen und angemessenen Benehmen persönliche Gefühle zu unterdrücken, indem man den eigenen Gesichtsausdruck der Atmosphäre in der Gruppe anpasst, weshalb in die Beurteilung auch die Gefühle der jeweiligen anderen Anwesenden eingehen.

Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass die japanischen Studierenden die Emotionen der Hauptperson stärker wahrnahmen, wenn sie mit der der Gruppe übereinstimmten, da das Gefühl dann von der Umgebung geteilt wurde. Wich jedoch der Gesichtsausdruck der Person von dem der Gruppe ab, wurden die gezeigten Gefühle der Gruppe teilweise auf die der Zielperson übertragen um die Interpretation der Mimik der Person zu vervollständigen.

Diese Ergebnisse sind nicht nur bezogen auf die Interpretation von Emotionen interessant. Man findet diesen Effekt auch in der Kunst. Sowohl bei Gemälden als auch bei Fotografien ist es auffällig, dass bei einem asiatischen Porträt verhältnismäßig mehr Umgebung im Vergleich zum Kopf zu sehen ist als bei westlichen Gemälden. Dies ist ein zusätzlicher Indikator dafür, dass der Kontext für asiatische Kulturen eine wichtige Information ist, während in westlichen Kulturen die Betrachtung des Individuums alleine als Information ausreichend zu sein scheint.

Masuda, T., Ellsworth, P. C., Mesquita, B. & Leu, J. (2008). Placing the Face in Context: Cultural Differences in the Perception of the Facial Emotion. Journal of Personality and Social Psychology, 94, 365–381.

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