Gutes tun durch Nichtstun?

- Karoline Mikus –

Die Bereitschaft zu spenden kann erhöht werden, wenn die Spende in einer Situation als standard­mäßiges und somit auch als häufiges und sozial erwünschtes Verhalten angesehen wird.

Gutes tun, ohne wirklich aktiv werden zu müssen? In Österreich tun dies schon viele, denn dort steht jede Bürgerin und jeder Bürger nach dem Tod automatisch als OrganspenderIn zur Verfügung, außer es wurde zu Lebzeiten Widerspruch eingelegt. In Deutschland ist es genau umgekehrt: Wer keinen Organspendeausweis ausfüllt, der spendet auch keine Organe. Trotz kultureller Ähnlichkeit der beiden Länder lag im Jahr 2014 der Anteil der Personen, die nach ihrem Ableben ihre Organe spendeten, in Österreich bei 24,3 OrganspenderInnen pro eine Million EinwohnerInnen, wohingegen es in Deutschland nur 10,5 OrganspenderInnen pro eine Million EinwohnerInnen waren. Forschende führen diesen Unter­schied darauf zurück, dass Personen im Allgemeinen dazu tendieren, „Voreinstellungen“ beizubehalten. Mit Voreinstellungen sind diejenigen Alternativen gemeint, die Personen automatisch wählen, wenn sie sich nicht explizit  für eine andere Alternative entscheiden.

Ein britisches Forschungs­team um Jim Everett wollte mit einer Reihe von Studien herausfinden, ob sich die Tendenz zum Beibehalten von Voreinstellungen auch dann zeigt, wenn der Person dadurch direkt Kosten entstehen. In einer Online-Studie bekamen die Teilnehmenden eine Aufwandsentschädigung von 50 Cent und konnten am Studien­ende auswählen, ob sie einen zusätzlichen Bonus in Höhe von 50 Cent selbst erhalten oder einer Hilfs­organisation spenden wollten. Die Hälfte der Teilnehmenden bekam die Information, dass der Bonus standard­mäßig gespendet werde, außer sie würden sich dagegen aussprechen. Der anderen Hälfte der Teilnehmenden wurde hingegen mitgeteilt, dass der Bonus standard­mäßig an sie ausgezahlt werde, außer sie würden sich für eine Spende entscheiden. Lediglich 20 Prozent der Teilnehmenden entschieden sich für eine Spende, wenn der Bonus standard­mäßig an sie ausgezahlt werden sollte. Im Gegensatz dazu stieg die Spendenbereitschaft auf 35 Prozent der Teilnehmenden an, wenn der Bonus standard­mäßig gespendet wurde.

Das Forschungs­team vermutete, dass Voreinstellungen häufig beibehalten werden, weil diese als weit verbreitet und sozial erwünscht empfunden werden. Um diese Annahme zu testen, wurden die Teilnehmenden am Studien­ende noch gefragt, inwiefern sie glaubten, dass die meisten Personen der Meinung seien, man sollte den Bonus für wohltätige Zwecke spenden. Außerdem wurden sie gebeten, eine Schätzung darüber abzugeben, wie viel Prozent der Studien­teilnehmenden den Bonus spendeten. Tatsächlich schätzten die Teilnehmenden die soziale Erwünschtheit der Spende und den Anteil der Teilnehmenden, die ihr Geld spendeten, als höher ein, wenn der Bonus standard­mäßig gespendet wurde. Wie erwartet ergaben weitere Analysen, dass dadurch die gesteigerte Spendenbereitschaft im Falle der standard­mäßig voreingestellten Spende erklärt werden konnte. 

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass durch eine vermeintlich unbedeutende Änderung von Voreinstellungen, das Verhalten von Personen verändert werden kann. Dies liegt vor allem daran, dass Voreinstellungen als sozial erwünschte und weit verbreitete Verhaltensweisen angesehen werden. Dieses Wissen könnte genutzt werden, um mehr Personen zu selbstloserem Handeln anzuregen, ohne dabei ihre Handlungs­freiheit einzuschränken. Es ist durchaus denkbar, dass auch in Deutschland die Organspendenbereitschaft deutlich erhöht werden könnte, wenn jede Person nach ihrem Tod automatisch für eine Organspende zur Verfügung stehen würde, außer sie hat dem zu Lebzeiten widersprochen.

Everett J. A. C., Caviola L., Kahane G., Savulescu J., & Faber N. S. (2015). Doing good by doing nothing? The role of social norms in explaining default effects in altruistic contexts. European Journal of Social Psychology, 45, 230–241. doi: 10.1002/ejsp.2080.

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Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Jennifer Eck*, Anna Bruk

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