Hilfe leisten – Nur im Lichte der Aufmerksamkeit?!

- Martin Krentz –

Unsere Bereitschaft in Anwesenheit anderer zu helfen steigt, wenn wir uns bewusst werden, dass andere uns beobachten und sich ein Urteil über uns bilden können.

Ein Unfall passiert und eine Menschentraube bildet sich, doch niemand schreitet zur Tat und hilft. Die meisten schauen sich um und denken, dass doch jemand anderes helfen könne – Sicher hat auch schon jemand den Krankenwagen gerufen… Wären Sie als BeobachterIn jedoch alleine vor Ort, wäre die Situation klar – nur Sie können helfen! Und das würden Sie wahrscheinlich auch tun. Dieses weit verbreitete Phänomen wird als Bystander-Effekt (engl. Bystander = zuschauende Personen) bezeichnet: Je mehr Menschen anwesend sind, desto weniger wahrscheinlich wird geholfen. Aber sollte die Anwesenheit anderer uns nicht eigentlich gerade dazu veranlassen, Hilfe zu leisten? Wie stünde man schließlich da, wenn man nicht hilft? Und anders herum gefragt: Wie gut könnte man dastehen, wenn man beäugt von vielen zur Hilfe schreitet?

Mit der Frage, wann das Hilfe­verhalten einzelner Personen durch die Anwesenheit anderer nicht gehemmt oder sogar begünstigt wird, beschäftigte sich das Forschungs­team um Marco van Bommel. Die Forscher nahmen an, dass unser Bedürfnis nach einer positiven Bewertung der eigenen Person dem Bystander-Effekt entgegenwirken könnte. Dieses Bedürfnis sollte besonders aktiviert sein, wenn uns bewusst ist, dass andere uns beobachten und bewerten können. Hier sollten wir verstärkt helfen, da Nichthelfen für einen positiven Eindruck schädlich wäre, während man sich durch Helfen sogar besonders gut darstellen könnte – und das insbesondere, wenn die Aufmerksamkeit vieler auf einen gerichtet ist.

Ihre Annahmen testete das Forschungs­team wie folgt: Sie baten Studierende, sich in einem Internetforum bislang unbeantwortete Nachrichten durchzulesen, in denen Personen mit Problemen wie Trennungs­schmerz nach Rat suchten. Da es den Teilnehmenden frei gestellt war, auf einzelne Nachrichten zu antworten, konnte anhand der Anzahl gegebener Ratschläge die Hilfsbereitschaft erfasst werden. Hierbei dachte die Hälfte der Teilnehmenden, dass nur noch eine weitere Person im Forum aktiv sei, während die andere Hälfte noch 30 weitere Personen online sah. Entscheidend war zudem, dass der Name der jeweiligen Teilnehmenden entweder wie alle anderen Namen in schwarzer Schrift dargeboten oder in roter Schrift hervorgehoben wurde.

Zunächst zeigte sich der übliche Bystander-Effekt: Waren scheinbar viele Personen online, wurde weniger geholfen als wenn nur eine weitere Person sichtbar war. Dieses reduzierte Hilfe­verhalten zeigte sich aber nur bei Teilnehmenden, deren Name nicht hervorgehoben war. Hingegen berichteten Teilnehmende mit rot-hervorgehobenem Namen nicht nur, sich verstärkt im Fokus der Aufmerksamkeit im Forum zu befinden, sondern beantworteten auch mehr Nachrichten.

Bei Anwesenheit anderer Menschen sinkt die Wahrscheinlichkeit zu helfen also nicht zwangs­läufig. Wenn wir die Aufmerksamkeit anderer auf uns spüren, helfen wir vielleicht sogar eher je mehr Personen anwesend sind, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Benötigt jemand Hilfe, kann es also nicht schaden, sich zu verdeutlichen, dass unser Handeln nicht nur den Hilfe-Suchenden zu Gute kommt, sondern auch uns selbst – sei es durch einen guten Eindruck oder einfach die Zufriedenheit, geholfen zu haben.

Van Bommel, M., von Prooijen, J. -W., Elffers, H., & Van Lange, P. A. M. (2012). Be aware to care: Public self-awareness leads to a reversal of the bystander effect. Journal of Experimental Social Psychology, 48, 926–930.

© Forschung erleben 2012, alle Rechte vorbehalten

Zurück