Hilfe­verhalten in Kinderschuhen

- Clarissa Heinemann –

Kinder erkennen die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen, bereits bevor sie selbst anfangen, anderen zu helfen.

Für viele von uns ist es etwas ganz Normales: Wenn jemand in Schwierigkeiten gerät, bieten wir unsere Hilfe an. Dieses prosoziale Verhalten zeigt sich bereits bei Kindern. Ungefähr ab dem zweiten Lebens­jahr reichen Kinder beispielsweise Spielzeug an andere Sprösslinge weiter, wenn diese nicht von selbst daran gelangen können.

Bisherige Forschung deutet an, dass solch frühes Hilfe­verhalten die prosozialen Tendenzen des Menschen widerspiegelt. Das bedeutet, dass Menschen ihr Verhalten scheinbar schon von Natur aus auch auf die Bedürfnisse anderer ausrichten und versuchen, ihnen bei der Befriedigung selbiger zu helfen. Voraussetzung hierfür ist allerdings das Erkennen der Bedürfnisse anderer Personen. Ob tatsächlich bereits Kleinkinder dazu in der Lage sind, untersuchte nun ein Forschungs­team um Moritz Köster.

Die Forschenden führten eine Studie mit 9 bis 18 Monate alten Kindern durch. Diesen wurde eine animierte Bildergeschichte am Computer gezeigt. In der ersten Phase sahen die Kinder zwei Spielfiguren, die zunächst mit ihren Bällen spielten. Dann wurden sie durch ein Hindernis (z.B. eine Wand) von den Spielsachen getrennt und versuchten, dieses zu überwinden. Die Kinder sollten so verstehen, dass die Figuren gerne mit ihren Bällen spielen wollten. In der zweiten Phase tauchte im Hintergrund ein drittes, menschenähnliches Wesen auf, das den Spielfiguren zusah. In dieser Situation hatte nur eine der beiden Figuren Zugang zu ihrem Ball. Der anderen war selbiger durch ein Hindernis versperrt. In der letzten Phase beugte sich das dritte Wesen nach vorne, um einem der beiden Charaktere zu helfen: In sechs Spieldurchgängen gab es in zufälliger Reihenfolge dreimal der bedürftigen und dreimal der nicht-bedürftigen Figur ihren Ball.

Das Forschungs­team nahm an, dass die Kinder die Notsituation der einen Figur erkennen und von dem helfenden Wesen erwarten würden, dieser ihren Ball zu reichen. Dementsprechend sollten sie ihren Blick zuerst auf die bedürftige Figur richten, sobald der dritte Charakter zur Hilfe ansetzte. Weiter sollten sich die Kinder überrascht zeigen, falls der Ball der nicht-bedürftigen Figur überreicht würde. Zur Über­prüfung dieser Annahmen wurden die Blickbewegungen der Kinder mittels eines speziellen Computer­programms festgehalten.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Kinder länger auf die bedürftige Figur blickten, sobald sich das helfende Wesen nach vorne beugte. Sie erkannten also, dass diese Figur Hilfe benötigte und erwarteten von dem dritten Charakter entsprechendes Verhalten. Weiter schauten die Kinder länger auf die nicht-bedürftige Figur, wenn dieser anstelle der bedürftigen geholfen wurde. Hierin zeigte sich die Überraschung der Kinder. Das Erkennen der Bedürfnisse der Figuren hatte jedoch keinen Einfluss darauf, wie sehr die Kinder in einer anschließenden Situation einer anderen Person tatsächlich halfen und Spielzeug weiterreichten.

Die Studie  liefert somit erste Hinweise dafür, dass bereits Kleinkinder die Bedürfnisse anderer verstehen, noch bevor sie selbst prosozial handeln. Dass dieses Verständnis keinen Einfluss auf das tatsächliche Hilfe­verhalten hatte, bedeutet aber keineswegs, dass dieser Einfluss beim Menschen nicht existiert. Vielmehr zeigt der Befund, dass das Erkennen der Bedürfnisse anderer eine wichtige Voraussetzung für das Entstehen von prosozialem Verhalten und somit essentiell für das menschliche Miteinander ist.

Köster, M., Ohmer, X., Nguyen, T. D., & Kärtner, J. (2016). Infants understand others' needs. Psychological Science. Advance online publication. doi: 10.1177/0956797615627426

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Bianca von Wurzbach*, Julia Engel

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