Homo oder Hetero, das ist hier die Frage

- Breda Rakus –

Ob unser Gegenüber homo- oder heterosexuell ist, schließen wir auch aus Körperbau und Bewegungen – richtig liegen wir dabei jedoch nur selten.

„Schau mal, Petra, der ist ja süß!“. „Hm, ja schon, aber irgendwie sieht der schwul aus.“

In diesem kurzen Dialog steckt eine ganze Menge Psychologie: Menschen bewerten Andere und stecken sie in „Schubladen“. So steckt die erste Freundin die Person, über die geredet wird, in die Schubladen „männlich“ und „attraktiv“. Petra hingegen öffnet die Schublade „homosexuell“.

Bewertungs­prozesse wie diese laufen häufig automatisch ab. Welche Informationen uns zum Öffnen der Schubladen veranlassen, ist uns dabei oft gar nicht klar. Warum denkt Petra, der süße Typ sei schwul? Welche Merkmale lassen uns darauf schließen, dass jemand homo- bzw. heterosexuell ist? Und stimmt dieses Urteil dann überhaupt? Diesen Fragen gingen die Forscher Johnson, Gill, Reichman und Tessinary nach.

Aus früheren Studien ist bekannt, dass Schwule und Lesben hinsichtlich ihrer Bewegungen, ihrer Stimme und ihres Aussehens als geschlechtsuntypischer beurteilt werden als Heteros. Das heißt, ein homosexueller Mann wird als „unmännlicher“ bewertet und eine homosexuelle Frau als „unweiblicher“. Dies ließ die Forscher vermuten, dass Hinweise, die uns das Geschlecht eines Menschen erkennen lassen, auch eine Rolle bei der Einschätzung der sexuellen Orientierung spielen. Die Kategorisierung des Geschlechts scheint stark von zwei Hinweisen abzuhängen, die bei Männern und Frauen unterschiedlich ausgeprägt sind und deshalb auch als geschlechtstypisch bzw. geschlechtsuntypisch wahrgenommen werden: die Körperform sowie die Bewegung beim Gehen.

Frauen haben typischerweise einen sanduhrförmigen Körper (große Oberweite, schlanke Taille, breite Hüften), während sich der typisch männliche Körperbau durch breite Schultern und schmale Hüften auszeichnet. Männer und Frauen bewegen sich zudem unterschiedlich beim Gehen. Während sich der typisch weibliche Gang durch das Schwingen der Hüften auszeichnet, geht der typische Mann mit schaukelnden Schultern.

Die Forscher vermuteten nun, dass Körperbau und Gehbewegung unser Urteil über die sexuelle Orientierung anderer beeinflussen. Zur Untersuchung dieser Idee erstellten die Forscher Videoaufnahmen von acht Frauen und acht Männern, die auf einem Laufband gingen. Jeweils die Hälfte der Männer und Frauen war homosexuell. Körperbau und Gehbewegungen wurden genau vermessen. Die Videoaufzeichnungen wurden dann Versuchsteilnehmern vorgespielt, die beurteilen sollten, ob die Personen auf den Videos homo- oder heterosexuell waren. Tatsächlich waren der Körperbau und die Gehbewegungen der acht homosexuellen Zielpersonen in dieser Studie tendenziell eher geschlechtsuntypisch ausgeprägt. So zeigten die vier homosexuellen Männer durchschnittlich größere Hüftbewegungen und hatten einen weiblicheren Körperbau, während die lesbischen Frauen in der Studie im Schnitt einen männlicheren Körperbau aufwiesen.

Die Forscher interessierte jedoch vor allem, ob die Versuchsteilnehmer die sexuelle Orientierung der gefilmten Personen anhand des Körperbaus und der Gehbewegungen beurteilen würden. Es zeigte sich, dass die Probanden bei Männern die Informationen aus Körperbau und Gang tatsächlich nutzten, um auf die sexuelle Orientierung zu schließen: Je größer die Hüftbewegungen und je weiblicher die Figur, desto eher beurteilten die Teilnehmer die männlichen Zielpersonen als schwul. Allerdings war die Trefferrate mit 55 Prozent nur knapp über dem Zufall (50 Prozent). Bei Frauen setzten die Teilnehmer die körperlichen Merkmale interessanterweise nicht zur Urteilsbildung ein. Hier wich die Trefferquote nicht vom Zufall ab.

Die Ergebnisse der Studie sprechen dafür, dass wir Körperform und Bewegung nicht nur zur Beurteilung des Geschlechts einer Person nutzen, sondern auch für die Einschätzung der Geschlechts­orientierung (homo- oder heterosexuell). Warum allerdings die Einschätzung der Geschlechts­orientierung bei Männern besser als bei Frauen gelingt, bleibt eine offene Frage. Daneben zeigt die Studie, dass die Einschätzung der sexuellen Orientierung anhand körperlicher Merkmale keinesfalls immer mit der Realität übereinstimmen muss, denn es wurden lediglich etwas mehr als die Hälfte der gezeigten Männer richtig eingeschätzt, bei Frauen lag die Trefferquote noch niedriger.

Petra könnte also durchaus Recht haben, den süßen Typen in die Schublade „homosexuell“ zu stecken – aber sie könnte auch ebenso gut daneben liegen.


Johnson, Gill, Reichman & Tessinary (2007). Swagger, Sway, and Sexuality: Judging Sexual Orientation From Body Motion and Morphology. Journal of Personality and Social Psychology, 93(3), 321–334.

© Forschung erleben 2007, alle Rechte vorbehalten

Zurück