„Ich vergebe dir, denn ich habe gesündigt.“

- Rika Groß & Miriam Neißner –

Eigene Schuldgefühle können dazu führen, dass man nicht nur nach Vergebung sucht, sondern auch anderen Schuldigen eher vergeben kann.

Schuld gilt als eine soziale Emotion, da sie soziales Handeln fördert: Sie wird nicht nur im alltäglichen Sprach­gebrauch, sondern auch in Forschungs­befunden damit in Verbindung gebracht, dass Personen, die sich schuldig fühlen, Buße tun und Sühne leisten wollen; sie sind motiviert, ihre Schuld zu begleichen und dadurch Vergebung zu erfahren. Aber kann Schuldempfinden auch dazu führen, dass Menschen anderen Schuldigen eher vergeben – selbst wenn deren Fehltat völlig unabhängig von der eigenen ist?

Ein Forschungs­team um Jennifer Jordan unter­suchte diese Fragestellung. Dessen Annahme lautete, dass Personen, die sich schuldig fühlen, sich mit anderen Schuldigen identifizieren. Diese Identifikation komme zustande, weil wir uns gut in Menschen hineinfühlen können, die in einer ähnlichen Lage sind wie wir selbst. Der eigene Wunsch nach Vergebung bewegt uns demnach, auch dem oder der Anderen zu vergeben.

Die Forschenden überprüften ihre Ideen in einer Reihe von Studien. In zwei Studien schrieben die Teilnehmenden beispielsweise zunächst einen Aufsatz. Einige Teilnehmende sollten dabei eine Situation beschreiben, in der sie selbst jemandem geschadet und deshalb Schuldgefühle hatten. Die anderen Teilnehmenden sollten hingegen ein Ereignis schildern, bei dem sie zwar jemandem geschadet hatten, sich aber nicht schuldig fühlten.

Anschließend lasen in einer Studie alle Teilnehmenden zwei fiktive Situationen aus dem Arbeits­alltag, in denen andere Personen schuldig wurden. In der anderen Studie sollten die Teilnehmenden an eine Person denken, die ihnen selbst Schaden zugefügt hatte – und der sie noch nicht vergeben hatten. Diese Szenarien sollten danach bewertet werden, inwiefern sich die Teilnehmenden mit den Schuldigen identifizieren konnten und sich ihnen ähnlich fühlten, und ob sie ihnen vergeben würden. Tatsächlich bestätigen die Ergebnisse die Vermutung des Forschungs­teams: Die Teilnehmenden, die zuvor in ihrem Aufsatz von eigenen Schuldgefühlen berichtet hatten, gaben im Schnitt eine höhere Identifikation mit den Schuldigen sowie mehr Vergebungs­bereitschaft an, als die Teilnehmenden, die ein Ereignis ohne Schuldgefühle geschildert hatten.

Diese Befunde wurden in einem Experiment weiter unter­mauert. Hier zeigte sich zudem, dass Schuldempfindungen nahestehenden Personen (im Gegensatz zu Fremden) gegenüber einen stärkeren Einfluss auf uns und unsere Vergebungs­bereitschaft haben können.

Schuldgefühle beeinflussen also scheinbar, wie wohlgesonnen man anderen Schuldempfindenden gegenüber steht. Das eigene Schuldempfinden bleibt nicht 'nur' antreibende Kraft für Taten, um selbst Vergebung durch andere zu erlangen, sondern auch für die Vergebungs­bereitschaft anderen gegenüber.

Die bekannte Bitte aus der Bibel 'Vergib mir Vater, denn ich habe gesündigt' lässt sich nun auch auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen erweitern. So beschreibt die Aussage 'Ich vergebe dir, denn ich habe gesündigt' den vermutlich wahren psychologischen Vorgang in uns.

Jordan, J., Flynn, F. J., & Cohen, T. R. (2015). Forgive them for I have sinned: The relations­hip between guilt and forgiveness of others' trans­gressions. European Journal of Social Psychology, 45, 441–459.  doi: 10.1002/ejsp.2101

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Janin Rössel*, Sebastian Butz

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