Ich verliere, wenn Du gewinnst – aber verlierst Du auch, wenn ich gewinne?
Haben Sie auch schon hungrig auf das letzte Stück Kuchen geschielt und dann kam Ihnen jemand zuvor? Möglicherweise haben Sie etwas neidisch gedacht, dass der Genuss der anderen Person auf Ihre Kosten geht. Stellen Sie sich nun vor, Sie selbst seien in der Situation schneller gewesen und hätten sich das letzte Stück sichern können. Hätten Sie beim Essen des Kuchens daran gedacht, dass der anderen Person durch Ihren Erfolg ebenso Kosten entstehen?
Objektivhandelt es sich bei der hier beschriebenen Situation um ein sogenanntes Nullsummenspiel. Das bedeutet, dass unserem Gegenüber ebenso hohe Kosten entstehen, wenn wir uns das letzte Stück Kuchen nehmen, wie wenn uns das Stück entgeht. Die Forschenden Russell Roberts und Shai Davidai konnten in mehreren Studien jedoch beobachten, dass Personen nur den Erfolg anderer in diesem Sinne interpretieren. Eigene Erfolge wurden hingegen weniger stark mit Kosten für andere in Verbindung gebracht. Als eine mögliche Erklärung für diesen Unterschied untersuchten die Forschenden daher die wahrgenommene Bedrohlichkeit, welche vom Erfolg anderer ausgeht.
In einem der Experimente bekamen alle Teilnehmenden die Instruktion sich vorzustellen, dass an ihrem Arbeitsplatz bald Beförderungen anstehen würden. Offen blieb dabei aber, ob sie selbst oder eine andere Person mit gleichen Qualifikationen die Beförderung erhalten würde. Danach wurden die Teilnehmenden zufällig einer von zwei Gruppen zugeteilt. Der „Bedrohlichkeits-Gruppe“ wurde gesagt, dass ihre finanzielle Sicherheit von der Beförderung abhänge. Die Teilnehmenden in der „Nicht-Bedrohlichkeits-Gruppe“ wurden informiert, dass die Beförderung lediglich mit einigen neuen Verantwortlichkeiten einherginge. Abschließend wurden die Teilnehmenden gefragt, wie sie die eigene hypothetische Beförderung und die der anderen Person wahrnehmen würden.
Wie erwartet, gab die „Bedrohlichkeits-Gruppe“ an, dass die Beförderung der anderen Person eher auf ihre eigenen Kosten geht, als ihre eigene Beförderung auf Kosten der anderen Person. In der „Nicht-Bedrohlichkeits-Gruppe“ zeigte sich dieser Unterschied nicht: Unabhängig davon, ob die Kosten durch eine Nicht-Beförderung einem selbst oder der anderen Person entstanden, wurden diese gleich groß eingeschätzt. Damit sahen die Forschenden ihre Vermutung bestätigt. Als Erklärung führten sie an, dass der Fokus auf die eigenen Kosten möglicherweise der Versuch ist, den Erfolg anderer abzuwerten und den eigenen Misserfolg wettzumachen. Obgleich diese Tendenz durch die wahrgenommene Bedrohlichkeit des Erfolgs anderer verstärkt wird, kann natürlich auch der Erfolg anderer per se als bedrohlich wahrgenommen werden, was einen Teufelskreis zur Folge hätte.
Das vorgestellte Experiment lässt sich kritisieren, da eine hypothetische und keine reale Situation untersucht wurde. In weiteren alltagnäheren Experimenten zeigten sich jedoch ähnliche Ergebnisse. Die Studie liefert also einen Anhaltspunkt dafür, dass dieselbe Situation unterschiedlich wahrgenommen werden kann – je nachdem, ob der Fokus auf unserem eigenen oder dem Erfolg anderer liegt und welche wahrgenommene Bedrohung wir in letzterem sehen. Auch wenn das Teilen des letzten Stücks Kuchen die oben beschriebene Situation in ein Nicht-Nullsummenspiel verwandelt, könnten Sie dieses Vorgehen zukünftig vielleicht in Betracht ziehen und es sich gemeinsam schmecken lassen.
Roberts, R., & Davidai, S. (2021). The psychology of asymmetric zero-sum beliefs. Journal of Personality and Social Psychology. Advance online publication. https://doi.org/10.1037/pspi0000378
Redaktion und Ansprechpartner*in¹: Michael Barthelmäs¹, Lucia Boileau
© Forschung erleben 2022, alle Rechte vorbehalten