Ist unsere innere Uhr eine soziale Uhr?

- Birgit Gutzer –

Wir können schneller den aktuellen Wochentag benennen, wenn er nahe an einem persönlich wichtigen Datum liegt.

 

In der zivilisierten Welt ist ein Leben ohne Uhren und genaue Zeitangaben undenkbar. Das zeitlich strukturierte Leben beginnt schon im Säuglingsalter, wenn die Eltern ihre Babys dazu erziehen, zu einer bestimmten Zeit zu essen und zu schlafen. Im Kindergarten werden sich die Kinder schon eines gewissen Zeitdrucks bewusst und spätestens im Erwachsenenalter ist der ständige Blick auf die Uhr das größte Hobby der arbeits­tätigen Bevölkerung.

Jedoch ist es physiologisch nachgewiesen, dass wir Menschen auch eine innere Uhr besitzen, die zum Beispiel den Schlaf-Wach-Rhythmus regelt – wir wissen in der Regel instinktiv und ohne Blick auf die Armbanduhr, wann es Zeit ist, schlafen zu gehen.

Diese körpereigene Uhr ist nach neuen Er­kenntnissen jedoch nicht unabhängig von äußeren Einflüssen. Vielmehr kann unsere Zeitwahrnehmung auch durch soziale Ereignisse entscheidend beeinflusst werden.  Die Sozialpsychologen Kai Jonas und Pascal Huguet untersuchten in mehreren Studien, ob Tage, die eine große Bedeutung für einzelne Personen oder Gruppen haben, als Orientierungs­punkte dienen können, nach denen Menschen ihr Zeitbewusstsein richten.
Die Forscher konnten zeigen, dass die Probanden den aktuellen Wochentag umso schneller nennen konnten, je näher er an einem persönlich wichtigen Tag lag, wie zum Beispiel vor einer Prüfung. Genauso verhielt es sich, wenn der Tag für eine bestimmte Gruppe von Personen wichtig war, beispielsweise für Fußballfans das WM-Finale: Fußballbegeisterte konnten den aktuellen Wochentag kurz vor dem Finale schneller nennen als Menschen ohne Bezug zu Fußball.

Die Psychologen kamen zu dem Ergebnis, dass solche Wettkampf- oder Testsituationen die Zeitwahrnehmung insbesondere von Personen beeinflusste, die sich stark an anderen Menschen orientieren, was in der Sozialpsychologie auch als Tendenz zum sozialen Vergleich bezeichnet wird. Dies liegt daran, dass Situationen, in denen es gilt, sich mit anderen zu messen, besonders bedeutend für Personen mit diesem Persönlichkeits­merkmal sind.

Die Ergebnisse legen nahe, dass sich unsere innere Uhr nicht nur nach biologischen Bedürfnissen, sondern auch nach sozialen Ereignissen wie persönlich oder kulturell bedeutsamen Daten richtet. Das bedeutet, dass äußere zeitliche Orientierungs­punkte stark genug sind, um unsere innere Zeitwahrnehmung zu beeinflussen und neu auszurichten. Unsere innere Uhr ist also eine soziale Uhr und entspricht deshalb nicht immer der gregorianischen Zeitrechnung.

Jonas, K. J. & Huguet, P. (2008).What Day Is Today? A Social-Psychological Investigation Into the Process of Time Orientation. Personality and Social Psychology Bulletin, 34, 353–365.

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