Kreativ durch Regelverstöße

- Nora Frey –

Wenn wir uns unehrlich verhalten, gibt uns das das Gefühl weniger an Regeln gebunden zu sein, was wiederum zu mehr Kreativität führt.

Unser Alltag ist von Regeln bestimmt. Viele davon geben uns klare Verhaltensanweisungen an die Hand, was das Leben in vielerlei Hinsicht einfacher macht. Zum Beispiel weiß jeder, dass man nicht linksrum in einen Kreisverkehr einfährt oder dass man im Restaurant nach dem Essen auch dafür bezahlt. Manchmal werden solche Regeln allerdings gebrochen, wie etwa bei unehrlichem Verhalten, was allgemein als negativ angesehen wird. Die beiden Forschenden Francesca Gino und Scott Wiltermuth aber gehen davon aus, dass es manchmal durchaus von Vorteil sein kann Vorschriften zu brechen – und zwar dann, wenn Kreativität gefragt ist.  

Da es für Kreativität wichtig ist, über den Tellerrand hinauszuschauen und gelegentlich von allgemeingültigen Normen abzuweichen, war ihre Annahme, dass Menschen, die unehrlich handeln, bei Kreativitätsaufgaben deswegen gut abschneiden, weil sie weniger das Gefühl haben an Regeln gebunden zu sein.

In einer ihrer Studien teilten Gino und Wiltermuth die Teilnehmenden in zwei Gruppen ein. Beide Gruppen mussten unter Zeitdruck sogenannte Anagramme lösen und danach anhand eines Maßstabs ihre eigene Leistung einordnen. Bei der einen Gruppe war der Maßstab realistisch angesetzt. Das heißt, Teilnehmende, die gut bei den Anagrammen abgeschnitten hatten, wurden auch als gut eingestuft und Teilnehmende, die schlechte Leistungen erbracht hatten, bekamen eine schlechte Bewertung.  Es bestand also kein Grund bei der Selbsteinstufung zu lügen. Bei der zweiten Gruppe war der Maßstab so manipuliert, dass selbst gute Leistungen in der Anagrammaufgabe als schlecht eingestuft wurden. Die Teilnehmenden wurden dadurch dazu verleitet, eine bessere Selbsteinstufung vorzunehmen als die, die der Maßstab ergab. Die Teilnehmenden dieser Gruppe wurden also zu Unehrlichkeit verführt. Im Anschluss an die Anagrammaufgabe und die Selbsteinstufung fanden zwei Kreativitätstests statt. Zum einen mussten alle Teilnehmenden unter Zeitdruck so viele Verwendungs­möglichkeiten für eine Zeitung wie möglich finden. Zum anderen mussten sie  für Wort­gruppen aus drei Wörtern, die alle drei nichts miteinander zu tun hatten, ein jeweils viertes Wort finden, das in einer Beziehung zu allen drei Wörtern der Gruppe stand.

Die Ergebnisse sprechen für die Annahme von Gino und Wiltermuth. Zum einen machten Teilnehmende, die dazu verführt worden waren, sich besser einzustufen als sie tatsächlich abgeschnitten hatten, wirklich öfter unehrliche Einstufungen, als Teilnehmende der Bedingung, in der solch eine Verführung nicht stattgefunden hatte. Außerdem schnitten  Teilnehmende in der „unehrlichen Gruppe“ tatsächlich in beiden Kreativitätsaufgaben besser ab.

In weiteren Studien haben Gino und Wiltermuth auch herausgefunden, was diesen Effekt vermutlich bewirkt.  Die Forschenden konnten zeigen, dass Personen, die sich unehrlich verhalten, weniger das Gefühl haben an Regeln gebunden zu sein. Deshalb ist es ihnen möglich bei Kreativaufgaben eher über den Tellerrand zu schauen und dadurch besser abzuschneiden.

Normen zu missachten hat manchmal also auch gute Konsequenzen. Im Fall von Kreativität zeigt es sich, dass es auch von Nutzen sein kann sich nicht strikt an Regeln zu halten. Dies darf aber keinesfalls als Freifahrtschein zum Brechen aller Regeln angesehen werden, denn viele – nicht alle – sind sinnvoll und wichtig.

Gino, F., Wiltermuth, S. S., (2014). Evil Genius? How dishonesty can lead to greater creativity. Psychological Science,25(4), 973–981.

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