Leg doch das Handy weg! – oder lieber doch nicht?

- Valentin Koob –

Smartphone-Apps zur Unter­haltung können bei der Bewältigung einer erlebten Naturkatastrophe hilfreich sein.

Immer wieder erreichen uns Nachrichten von Naturkatastrophen, wie Über­flutungen oder Erdbeben. Bilder von Zerstörungen und dem Leid der Menschen zeigen eindrücklich die verheerenden Aus­wirkungen dieser Ereignisse. Doch wie können Gesellschaften und jede/r Einzelne sich von solchen Belastungen erholen? Um Antworten auch jenseits therapeutischer Ansätze zu finden, unter­suchte ein Forscher­team um Jayson Jia das natürliche Verhalten von mehr als 150.000 Betroffenen vor und nach dem Erdbeben in Ya´an in China von 2013.

Für dieses Vorhaben fanden die Forscher mit der Betrachtung von Mobiltelefon-Daten einen innovativen Zugang. Aufgrund der regelmäßigen Nutzung von Smartphones und Apps sollten diese einen guten Indikator für alltägliches Verhalten darstellen. Die Forschenden vermuteten nicht nur, dass Betroffene nach dem Erdbeben vermehrt soziale Kontakte und Informationen aufsuchen, sondern auch nach positiven Aktivitäten streben, die erfreulich sind und Angst reduzieren können. Bisherige Forschung hat solchen „positiven“ Bewältigungs­strategien kaum Betrachtung geschenkt.

Vor diesem Hintergrund interessierte sich das Team für Veränderungen in der Häufigkeit von App-Besuchen. Diese wurden klassifiziert als funktional (z.B. Karten, Nachrichten), Apps zur Kommunikation (z.B. Chats) und Apps zur Unter­haltung (z.B. Musik, Spiele). Die Forscher hatten in China Zugang zu anonymisierten Daten über die Handy- und Smartphone Nutzung der Menschen aus den betroffenen Gebieten. Zudem bestimmten sie die erlebte Erdbebenstärke (von wackelnden Tassen bis hin zu Gebäudeschäden) aufgrund geographischer Daten. 

Wie erwartet stieg die App-Nutzung nach dem Erdbeben (das Telekommunikations­netz war weitestgehend in Stand geblieben) – und das zunehmend mit größerer Erdebenstärke. Dieser Anstieg war nicht nur auf erhöhte Informations- und Kommunikations­bedürfnisse zurückzuführen. Eine gesteigerte Nutzung war auch für Unter­haltungs­apps zu verzeichnen und hielt in Regionen mit hoher Erdbebenstärke sogar Wochen nach der Katastrophe an. Entsprechend könnten solche Apps tatsächlich als positive Bewältigungs­strategie verwendet worden sein. Eine weitere Unter­suchung unter­mauert diese Idee: Eine kleinere Stichprobe (> 800 Personen) aus den am stärksten betroffenen Gebieten wurde einige Tage nach dem Erdbeben telefonisch zu ihrem aktuellen Bedrohungs­empfinden befragt. Hier wiesen spezielle statistische Analysen darauf hin, dass nur Unter­haltungs­apps, nicht aber funktionale und kommunikative Apps, zu einer Reduktion der empfundenen Bedrohung führten (unabhängig von dem erfahrenen Schaden und der erinnerten Angst der Befragten). Weniger Bedrohungs­empfinden sollte laut Forschungs­befunden allgemein mit weniger Ängstlichkeit und Pessimismus einhergehen, was hoffnungs­voll stimmen mag.

In der Forschung und in den Medien wird gängig ein Fokus auf Risikokommunikation und Traumabewältigung durch psychologischen Beistand gelegt. Darüber hinaus weist die Forschung von Jia und Kollegen nun darauf hin, dass Menschen selbst nach schweren Naturkatastrophen mit der Nutzung von Apps positive kleine Aktivitäten aufsuchen – mutmaßlich, um mit dem Erlebten umzugehen. Weitere Forschung sollte die Wirkweise  unter­suchen, über die Unter­haltungs­apps bei der Bewältigung von Katastrophensituationen helfen, und ob sie (und andere positive Aktivitäten) auch gezielt als Bewältigungs­strategie eingesetzt werden können.

Jia, J. S., Jia, J., Hsee, C. K., & Shiv, B. (2016). The role of hedonic behavior in reducing perceived risk: evidence from postearthquake mobile-app data. Psychological Science, 28, 23–35. doi: 10.1177/0956797616671712

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Janin Roessel*, Thomas Dyllick

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