Leider nur „normal verrückt“

- Anne Ländhäußer –

Personen, die an geschlechtstypischen psychischen Erkrankungen leiden, erfahren weniger Verständnis als solche, die untypische Symptome aufweisen.

Psychische Erkrankungen sind Normalität. Außergewöhnlich wäre es, im Bekanntenkreis niemanden zu haben, der unter psychischen Problemen leidet. Denn eine psychische Störung kann in so unterschiedlichen und verbreiteten Varianten auftreten wie als Essstörung, Depression, Alkoholsucht oder Burnout. Nichts desto trotz wird sie in weiten Teilen der Bevölkerung nach wie vor tabuisiert, als wäre es eine Schande, ein wenig „ver-rückt“ – also aus dem psychischen Gleichgewicht geraten – zu sein. Eine Krankheit „da oben im Stübchen“ erhält eine grundsätzlich andere Wertigkeit als eine Virusinfektion, obwohl auch sie letztlich uns alle treffen kann.

Wie Menschen auf die psychische Erkrankung einer anderen Person reagieren, hängt natürlich von der Art der Erkrankung ab. Eine Essstörung ist für den Otto-Normal-Menschen nachvollziehbarer als eine Schizophrenie. Die amerikanischen Sozialpsychologen James Wirth und Galen Bodenhausen haben nun festgestellt, dass jedoch nicht nur die Art der Erkrankung eine Rolle spielt, sondern auch, ob es sich bei der psychisch belasteten Person um eine Frau oder einen Mann handelt.

Es gibt psychische Erkrankungen, die wir eher mit Frauen in Verbindung bringen (z.B. Depressionen), und solche, bei denen wir eher an Männer denken (z.B. Alkoholismus). Ein männlicher Alkoholiker oder eine weibliche Depressive werden gewissermaßen als typisch wahrgenommen, eine weibliche Alkoholikerin oder ein männlicher Depressiver dagegen eher als atypisch. Wirth und Bodenhausen zeigten nun anhand einer Studie, dass Personen auf typische Fälle psychischer Erkrankungen mit größerer Ablehnung reagieren als auf untypische Fälle.

Die Forscher ließen ihre Probanden Beschreibungen von Personen lesen,  die entweder die Symptome einer Alkoholsucht oder die Symptome einer Depression aufwiesen.  Dabei wurde variiert, ob es sich bei der beschriebenen Person um einen Mann oder eine Frau handelte. Die Beantwortung einiger Fragen im Anschluss zeigte, dass die Probanden auf eine alkoholabhängige Person zwar grundsätzlich mit negativeren Gefühlen reagierten als auf eine depressive Person, dass aber besonders der männliche Alkoholiker Widerwillen hervorrief. Auf der anderen Seite wurde die depressive Frau mit stärkerer Ablehnung bedacht als der depressive Mann.

Die Ergebnisse der Untersuchung liefern eine mögliche Erklärung dieses Sachverhalts gleich mit: Bei den typischen Fällen (männlicher Alkoholiker, weibliche Depressive) glaubten die Probanden jeweils weniger an psychische Ursachen der Symptomatik als bei den atypischen Fällen (weibliche Alkoholikerin, männlicher Depressiver). Da Männer offensichtlich zu Alkoholismus und Frauen zu Depressionen neigen, besteht die Gefahr, dass wir typischen Fällen die Schuld für ihre Erkrankung selbst in die Schuhe schieben. Frei nach dem Motto: „Männer besaufen sich halt gerne!“ oder „Frauen jammern halt ständig rum!“. So scheinen wir zu denken und laufen damit Gefahr, hilfsbedürftigen Menschen unseren Respekt zu verweigern, nur weil sie neben ihrer Erkrankung auch noch das Pech haben, einem Stereotyp zu entsprechen.

Wirth, J. H., & Bodenhausen, G. V. (2009). The role of gender in mental-illness stigma. A national experiment. Psychological Science, 20 (2), 169–173.  

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