Lügen in Beziehungen

- Martin Scharmach –

Wir lügen den eigenen Partner und unsere Freunde „anders“ an als wildfremde Menschen.

Von Bill Clinton bis Pinocchio, von „Deine Suppe schmeckt ausgezeichnet, Schatz.“ bis „Ich habe Dich nicht betrogen!“: Die unterschiedlichsten Personen erzählen die unterschiedlichsten Lügen.

Wildfremde Menschen, Bekannte, Freunde, auch der eigene Partner, jeder wird gelegentlich angelogen, wenn es die Situation – in den Augen des Lügners – erfordert. Aber gibt es Unterschiede in der Art und Anzahl der Lügen, die wir gegenüber unterschiedlichen Menschen äußern? Unterscheiden wir, was das Lügen angeht, zwischen einem „Fremden“ und dem „Partner“, zwischen Notlüge und folgenschwerem Betrug?

Die Psychologen Edel Ennis, Aldert Vrij und Claire Chance aus Großbritannien gingen dieser Frage nach. Sie wollten herausfinden, ob es Unterschiede in der Art und Anzahl von Lügen gibt, die Menschen gegenüber Fremden, engen Freunden und dem eigenen Partner äußern. Dafür ließen sie Studierende Fragebogen beantworten, in denen erfasst wurde, wie häufig sie Fremde und enge Freunde bzw. den eigenen Partner anlügen.

Wer dachte, dass Lügner eben Lügner sind, wird nun erstaunt sein: Die Probanden berichteten, dass sie Fremde häufiger anlügen als enge Freunde bzw. den eigenen Partner.

Darüber hinaus unterschied sich die Art der Lügen, die die Probanden Fremden, engen Freunden und dem eigenen Partner auftischten: die Probanden berichteten, dass sie Fremden mehr eigennützige Lügen erzählen als engen Freunden bzw. dem eigenen Partner. Eigennützige Lügen sind Lügen, die dazu dienen, sich selbst besser darzustellen oder vor Strafe zu schützen, z.B.: „Ich habe das Geld nicht genommen.“

Engen Freunden bzw. dem eigenen Partner erzählten die Probanden dagegen mehr uneigennützige Lügen. Uneigennützige Lügen dienen dazu, den Konversations­partner, sein Selbstwertgefühl und die Beziehung zu schützen, z.B. „Dein Hintern sieht wirklich nicht dick aus in der Hose.“ Außerdem erzählten die Probanden Freunden bzw. dem eigenen Partner mehr Lügen, die eine dritte Partei schützen sollen, z.B.: „Petra kann es nicht gewesen sein, sie war zu der Zeit bei mir.“

Die Autoren gingen außerdem einer weiteren Fragestellung nach. Sie wollten prüfen, ob die Art und die Anzahl der Lügen mit dem Grad der Bindungs­vermeidung einer Person zusammen hängen. Unter Bindungs­vermeidung versteht man ein negatives Bild, das man von anderen Personen hat, weil man davon ausgeht, dass die Mitmenschen einem gegenüber gleichgültig oder negativ eingestellt sind. Bindungs­vermeidung ist charakterisiert durch mangelndes Vertrauen, Abneigung gegen und Vermeidung von menschlicher Nähe und einen erhöhten Wunsch nach Privatsphäre.

Die Ergebnisse zeigen, dass Personen mit hoher im Vergleich zu Personen mit niedriger Bindungs­vermeidung dem eigenen Partner häufiger eigennützige Lügen erzählen. Wahrscheinlich ist dies darauf zurückzuführen, dass Personen mit hoher Bindungs­vermeidung bestrebt sind, ihre Privatsphäre aufrecht zu erhalten und anderen gegenüber auf Distanz zu bleiben. Eigennützige Lügen können diesem Zweck dienen, indem sie Fehl­informationen über die eigene Person kommunizieren, z.B.: „Ich mag keine Horrorfilme... (wenn ich sie mit dir schauen muss.)“.

Insgesamt lässt die Studie von Ennis und Kollegen den Schluss zu, dass der eigene Partner und enge Freunde weniger häufig angelogen werden als Fremde, und dass es sich dabei zu einem größeren Teil um Lügen handelt, die „einem guten Zweck“ dienen, nämlich den Selbstwert des Gegenüber und die Beziehung zu ihm zu schützen. Wir machen also Unterschiede beim Lügen – und setzen die Lügen strategisch ein.

Ennis, E., Vrij, A., & Chance, C. (2008). Individual differences and lying in everyday life. Journal of Social and Personal Relations­hips, 25(1), 105–118.

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