Lügen oder Verschweigen: Eine Frage der Perspektive?

- Lea Teutenberg –

Eine unterschiedliche Sichtweise auf die Folgen von Täuschung führt zu unterschiedlichen Präferenzen bei Täuschenden und Getäuschten.

Die Präsentation meines Kollegen ist wirklich nicht sehr gut. Soll ich ihn darauf hinweisen, lieber taktvoll schweigen oder ihm sogar ein falsches Kompliment machen, weil er ohnehin gerade so unsicher wirkt?

Letzteres wäre eine glatte Lüge. Lügen werden in unserer Gesellschaft als unethisch betrachtet, obwohl sie in manchen Situationen durchaus Schaden begrenzen können. Die Wahrheit zu verschweigen, scheint da die moralischere Alternative. Denn wie heißt es so schön: Wenn man nichts Nettes zu sagen hat, sollte man besser den Mund halten.

Dass es jedoch von der Perspektive abhängt, ob das Verschweigen wichtiger Informationen als ethisch vertretbarer als eine Lüge gewertet wird, zeigte die Forscherin Emma Levine gemeinsam mit ihrem Forschungs­team in einigen Studien. Beispielsweise konfrontierte sie knapp 600 Personen mit einem Szenario, welches die Situation der Führungs­kraft und der Mitarbeiter*innen einer Abteilung eines Unternehmens beschrieb, das vor strukturellen Veränderungen stand. Im Zuge dieser Veränderungen waren Entlassungen zu befürchten. Die Aufgabe der Befragten lag nun darin, das Verhalten der Führungs­kraft in einem anstehenden Meeting zu beurteilen. In diesem Meeting täuschte die Führungs­kraft ihre Angestellten hinsichtlich der anstehenden Entlassungen, indem sie entweder log und den Angestellten mitteilte, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, oder aber das Thema einfach verschwieg, sich also gar nicht dazu äußerte und die Mitarbeiter*innen somit im Ungewissen ließ.

Die Befragten nahmen hierbei entweder die Perspektive der täuschenden Person (Führungs­kraft) oder der getäuschten Person (Mitarbeiter*in) ein und sollten beurteilen, für wie moralisch sie die jeweils beschriebene Verhaltensweise (Lügen oder Verschweigen) hielten. Weiterhin sollten sie die Folgen der Verhaltensweise jeweils für die täuschende und die getäuschte Person einschätzen.

Obwohl beide Parteien der Ansicht waren, dass das Verschweigen (im Vergleich zur aktiven Lüge) negativere Konsequenzen für die Angestellten hat, beurteilten sie das Verhalten unterschiedlich: Die „Führungs­kräfte“ hielten es für moralischer, Informationen auszusparen. Die „Mitarbeiter*innen“ hingegen hielten die Lüge für akzeptabler. Die Folgen der Täuschung wurden ebenfalls unterschiedlich eingestuft: Personen in der Rolle der Führungs­kraft sahen in der Lüge (im Vergleich zum Verschweigen) mehr negative Folgen für sich. Personen in der Rolle der Mitarbeiter*innen hingegen sahen keinen Unterschied zwischen den beiden Verhaltensweisen hinsichtlich der Konsequenzen für ihre Führungs­kraft. Außerdem zeigte sich, dass die beiden Parteien bei der Moralbeurteilung die Konsequenzen, die die Täuschung für die eigene Gruppe hatte, stärker beachteten als die Konsequenzen für die andere Gruppe. 

Die Beurteilung des Verhaltens unterliegt also einer egoistischen Verzerrung: die Konsequenzen für einen selbst sind wichtiger als die Konsequenzen für die andere Person! Dieser Egoismus führt zu den unterschiedlichen Verhaltenspräferenzen und damit zu einer unterschiedlichen Beurteilung.

Da jedoch aus unterschiedlichen Beurteilungen sehr einfach Konflikte resultieren, legt diese Studie nahe, dass es ratsam sein könnte, sich bei der Beurteilung eines Verhaltens auch die Perspektive der anderen Person zu verdeutlichen und somit über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen. 

 

Quelle: Levine, E., Hart, J., Moore, K., Rubin, E., Yadav, K., & Halpern, S. (2018). The surprising costs of silence: Asymmetric preferences for prosocial lies of commission and omission. Journal of Personality and Social Psychology, 114(1), 29–51. doi: 10.1037/pspa0000101

Redaktion und Ansprech­partner*in¹: Anne Landhäußer¹, Mariela Jaffé

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