Lügen und Betrügen durch Erasmus?

- Lilly Hartmann –

Auslands­aufenthalte in verschiedenen Ländern können zu unmoralischem Verhalten führen.

Ein freiwilliges soziales Jahr in Kanada, Work and Travel in Australien, Backpacking in Südostasien – immer mehr junge Menschen verbringen vor dem Beginn des Studiums Zeit im Ausland. Durch ein stetig wachsendes Angebot an Austausch­programmen und die voranschreitende Globalisierung unserer Gesellschaft sind Auslands­aufenthalte für viele ein wichtiger Bestandteil des Lebens geworden. Der potenzielle Mehrwert von Austausch­programmen scheint vielfältig: der Erwerb von Fremdsprachen, das Knüpfen von Kontakten und Freundschaften in aller Welt, die Erweiterung des kulturellen Horizontes. Auch die bisherige Forschung zu Auslands­aufenthalten zeigt viele Vorteile: Tatsächlich weisen Personen, die sich häufig im Ausland aufhalten, eine erhöhte Kreativität auf. Darüber hinaus werden durch häufigen Kontakt mit Menschen aus anderen Ländern Vorurteile abgebaut. Doch kann sich das Reisen und Arbeiten in fremden Ländern auch negativ auswirken?

Das Autorenteam um Lu, Gino, Maddux, Quoidbach, Chakroff und Galinsky vermutet, dass durch die Auseinandersetzung mit fremden Kulturkreisen nicht nur eine geistige, sondern auch eine moralische Flexibilisierung stattfinden könnte. So gelten in anderen Ländern unterschiedliche Gesetze, Normen und Werte. Bestimmte Verhaltensweisen, die hierzulande als unmoralisch gelten, werden womöglich in bestimmten Kulturen akzeptiert, und umgekehrt. Die eigene Auffassung von richtig und falsch relativiert sich, und das könnte zur Folge haben, dass man sich unmoralischer verhält.

Um ihre Annahmen zu überprüfen, führten die Forscherinnen und Forscher mehrere Untersuchungen mit Studierenden durch. Die moralische Flexibilität der Studierenden wurde dabei gemessen als Tendenz, in den Studien zu lügen und zu betrügen. Im Rahmen der ersten Studie wurden die Versuchspersonen vor, während und nach einem mehrmonatigen Auslands­aufenthalt befragt. In jeder dieser Phasen konnten die Teilnehmenden nach Beantwortung einiger Fragen an einem Gewinnspiel teilnehmen. Hierfür mussten sie Aufgaben bearbeiten und selbstständig angeben, wie viele davon sie gelöst hatten. Je mehr Aufgaben sie am Stück lösten, desto höher sollten angeblich ihre Chancen auf den Preis ausfallen. Dies war jedoch nur ein Vorwand des Autorenteams. Da sich unter den Tests eine unlösbare Aufgabe befand, konnten die Forscher feststellen, welche Versuchspersonen gelogen hatten, um ihre Gewinn­chancen zu erhöhen. Tatsächlich zeigte sich, dass Personen während und nach ihrem Auslands­aufenthalt häufiger betrogen als davor. Somit konnte die Hypothese bestätigt werden, dass das Leben in fremden Ländern zu einer erhöhten moralischen Flexibilität und zu eher unmoralischem Verhalten führt. Eine weitere Studie demonstrierte, dass dieser Effekt tatsächlich durch die Relativierung der eigenen moralischen Ansichten vermittelt wurde.

Insgesamt sollte also neben all den Vorzügen, die Auslands­aufenthalte bieten, auch bedacht werden, dass auf einer moralischen Ebene Risiken entstehen können. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Globalisierung und der Selbstverständlichkeit, mit der wir uns heutzutage im Ausland bewegen, gesellschaft­lich relevant. Womöglich könnte unmoralisches Verhalten durch die Aufklärung über diesen Effekt bereits verringert werden.

Lu, J. G., Gino, F., Maddux, W. W., Quoidbach, J., Chakroff, A., & Galinsky, A. D. (2017). The dark side of going abroad: How broad foreign experiences increase immoral behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 112,1–16. Doi:10.1037/pspa0000068

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Sebastian Butz*, Katrin Bayer

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