Mein Tag hat 30 Stunden

- Anna Bruk –

Nachdem man seine Zeit für andere aufgewendet hat, glaubt man mehr Zeit zu haben, als wenn man dieselbe Zeitmenge verschwendet oder für sich selbst genutzt hat.

Morgen einem Kumpel beim Umzug helfen, bis zum nächsten Mittwoch die Abschlussarbeit einer Freundin korrigieren. Und fast wieder vergessen: Wollte die Oma nicht schon seit Monaten gezeigt bekommen, wie man SMS schreibt? Wer hat aber heutzutage schon die Zeit anderen zu helfen, wenn die eigenen To-do-Listen immer länger werden? Für die RealistInnen unter uns gibt es eine schlechte Nachricht: Ein Tag hat weiterhin lediglich 24 Stunden. Für die OptimistInnen sieht die Welt aber wie immer etwas besser aus: Der wahrgenommene Zeitüberschuss kann sehr wohl erhöht werden. Auch wenn es zunächst paradox klingen mag: Wenn man mehr Zeit aufwendet, kann man gefühlt mehr Zeit gewinnen. Entscheidend dabei ist, für wen man die Zeit aufbringt.

Ein Forschungs­team um Cassie Mogilner von der University of Pennsylvania teilte Teilnehmende einer Studie in zwei Gruppen auf. Die Aufgabe der Teilnehmenden in der ersten Gruppe bestand darin, fünf Minuten lang einen aufm­unternden Brief an ein krankes Kind zu schreiben. Die Teilnehmenden in der anderen Gruppe sollten dagegen fünf Minuten lang den Buchstaben E in einem lateinischen Text zählen. Obwohl in beiden Gruppen dieselbe Zeit für die Aufgabe aufgewendet wurde, zeigte die anschließende Befragung, dass die Teilnehmenden, die ein krankes Kind unterstützt hatten, sich hinsichtlich ihrer künftig verfügbaren Zeit weniger beschränkt fühlten, als diejenigen, die ihre Zeit durch das Zählen des Buchstabens E verschwendet hatten.

In einer weiteren Studie wurden Teilnehmende an einem Samstagmorgen per Email gebeten, entweder für sich selbst oder für jemand anderen etwas Schönes zu tun, das für den Tag nicht vorgesehen war. Auch hier schätzten die Versuchspersonen, die ihre Zeit für jemand anderen aufgewendet hatten, ihren zukünftigen Zeitüberschuss höher ein, als diejenigen, die sich selbst etwas gegönnt hatten.

Das Forschungs­team konnte seine Idee mit einer abschließenden Studie untermauern. Am Ende eines Experiments wurde die Hälfte der Teilnehmenden gebeten, leistungs­schwachen Schülern bei einem Aufsatz zu helfen. Die andere Hälfte durfte einfach 15 Minuten früher gehen. Es zeigte sich wieder, dass die erste Gruppe anschließend mehr Zeit zu haben glaubte als die zweite. Dieser wahrgenommene Zeitüberfluss wurde dann auch genutzt: Teilnehmende, die ihre Zeit anderen „geschenkt“ hatten, meldeten sich mit höherer Wahrscheinlichkeit für weitere Studien an und verbrachten mehr Zeit damit, an diesen teilzunehmen.

Wie kommt es nun dazu, dass man den wahrgenommenen Zeitüberschuss erhöhen kann, indem man Zeit für andere Personen aufwendet? Das Forschungs­team stellte fest, dass anderen Menschen zu helfen das Selbstvertrauen in eigene Fähigkeiten steigert. Erhöhtes Selbstvertrauen führt zu dem Gefühl mehr in demselben Zeitintervall erledigen zu können und vermittelt somit den Eindruck allgemein mehr Zeit zu haben. Demnach glaubt man beim Hilfeleisten mehr bewirken zu können als wenn man die Zeit für sich nutzt oder sie einfach verschwendet. Wenn also der umziehende Kumpel oder die von der Abschlussarbeit gestresste Freundin nächstes Mal „Hilfe“ schreien, kann es sich sogar für einen selbst lohnen, Unterstützung zuzusagen.

Mogilner, C., Chance, Z., & Norton, M. I. (in press). Giving time gives you time. Psychological Science.

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