Mit Zugehörigkeit gegen Ungerechtigkeit an amerikanischen Highschools
Stellen wir uns einen Flur in einer amerikanischen Schule vor, wie wir ihn aus dem Fernsehen kennen. Im Getümmel stößt ein afro-amerikanischer Schüler aus Versehen einen Mitschüler an. Dieser fällt hin. Ein Lehrer beobachtet die Situation und entscheidet, dass das Verhalten Absicht war. Der afro-amerikanische Schüler wird verwarnt. Was macht es mit ihm, wenn der Lehrende ungerechtfertigt eine Strafe verhängt? Wie beeinflusst dies seine Wahrnehmung, das Verhältnis zu den Lehrkräften und womöglich sogar seine Zukunft?
Stereotype, also Überzeugungen über die Merkmale einer sozialen Gruppe, sind ein zentrales Thema unserer Zeit. Sie führen dazu, dass zweideutige Situationen durch negative Erwartungen verzerrt gedeutet werden. Studien zeigen, dass afro-amerikanische Jungs dadurch mehr von Disziplinarmaßnahmen in der Schule, wie Strafarbeiten oder Verwarnungen, betroffen sind als andere. Das wiederum kann dafür sorgen, dass sie sich an der Schule nicht zugehörig fühlen und fördert somit eventuell aggressives Verhalten, was für die Lehrkraft der Grund für eine weitere Verwarnung sein kann. Ein Teufelskreis entsteht, welcher auch langfristige Folgen, wie einen Schulabbruch oder Arbeitslosigkeit mit sich bringen kann. Um den Teufelskreis zu unterbrechen, hat bisherige Forschung vor allem an den Vorurteilen der Lehrkräfte angesetzt.
Das Forschungsteam um Parker Goyer nimmt an, dass der Teufelskreis auch mit einer Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls der Schüler durchbrochen werden kann. Um dies zu prüfen untersuchten die Forschenden Jungs der 6. Klassenstufe an einer amerikanischen Highschool. Den afro-amerikanischen Schülern wurde das Zugehörigkeitsgefühl während einer Unterrichtseinheit gestärkt. Hierzu bekamen die Schüler am Anfang der 6. Klasse Texte von älteren Schülern unterschiedlicher Hintergründe und Hautfarben, die von ihren Erfahrungen in der Schule berichteten. Die Texte vermittelten die Botschaft, dass Schwierigkeiten mit Lehrenden und Mitschüler*innen weitestgehend normal seien und mit der Zeit abnehmen würden. Damit war es den Sechstklässlern möglich, Schwierigkeiten als eine normale Erfahrung aller Schüler*innen zu sehen, die mit der Zeit vorbei gehen und die nichts mit ihrer Zugehörigkeit zu tun haben. Dann wurden die Schüler von den Forschenden über 6 Schuljahre begleitet.
Die Ergebnisse zeigen, dass afro-amerikanische Jungs, die an der Zugehörigkeitsintervention teilnahmen, in den darauffolgenden Schuljahren weniger verwarnt wurden. Wie erwartet machten sich diese Schüler weniger Sorgen bezüglich ihrer eigenen Zugehörigkeit in der Schule, was einen Hinweis auf die Relevanz des Zugehörigkeitsgefühls für diese Entwicklung liefert.
Was bedeutet dies nun für unser anfängliches Szenario im Schulkorridor? Die Intervention hat scheinbar einen Einfluss auf den Teufelskreis und kann ihn durchbrechen. Die genauen Wirkmechanismen sollten weiter untersucht werden. So könnte man vermuten, dass gegenseitiges Vertrauen, vielleicht insbesondere unter den Schüler*innen gestärkt wird.
Das Zugehörigkeitsgefühl zu stärken kann also ein effektives Mittel im Kampf gegen soziale Ungleichheit darstellen. Außer Frage steht, dass für einen fairen Umgang in der Schule dies allein nicht ausreicht. Die Befunde sind ein Anfang, an dem eine positive Botschaft steht: Denn es liegt in unserer aller Kraft, das Zugehörigkeitsgefühl unserer Mitmenschen zu stärken.
Goyer, J. P., Cohen, L. C., Master, A., Cook, J. E., Apfel, N., Lee, W., Henderson, A. G., Reeves, S. L., Okonofua, J. A. & Walton, G. M. (2019). Targeted identity-safety interventions cause lasting reductions in discipline citations among negatively stereotyped boys. Journal of Personality and Social Psychology: Attitudes and Social Cognition, 117(2), 229–259.http://dx.doi.org/10.1037/pspa0000152
Redaktion und Ansprechpartner*in¹: Thomas Dyllick¹, Janin Rössel
© Forschung erleben 2021, alle Rechte vorbehalten