Männer sind durchsetzungsfähig und selbstbewusst, Frauen fürsorglich und emotional. Jungen tragen blau, Mädchen rosa. Solche Geschlechterstereotype, also Vorstellungen davon, wie Personen eines bestimmten Geschlechts typischerweise sind, sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Es gibt viele Beispiele dafür, wie Geschlechterstereotype Verhalten beeinflussen können. Zum Beispiel kaufen Eltern ihren Jungen eher Spielzeugautos, während Mädchen häufiger Puppen geschenkt bekommen. Doch ab welchem Zeitpunkt lassen sich Eltern von Geschlechterstereotypen beeinflussen? Haben Eltern bereits vor der Geburt ihrer Babys geschlechtsspezifische Erwartungen an die Eigenschaften ihrer Babys?
Um diese Frage zu untersuchen, befragten Roland Imhoff und Lisa Hoffmann rund 300 werdende Elternpaare. Die erste Befragung fand zwischen der 6. und 26. Schwangerschaftswoche statt, als den meisten Eltern das Geschlecht ihrer Babys noch nicht bekannt war. Die zweite Befragung fand vier bis sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin statt, als die meisten Eltern wussten, ob sie eher mit einem Jungen oder einem Mädchen rechnen konnten. In beiden Befragungen wurden den Eltern 20 stereotyp männliche Eigenschaften wie Unabhängigkeit und Durchsetzungsfähigkeit und 20 stereotyp weibliche Eigenschaften wie Wärme und Zartheit gezeigt. Für jede Eigenschaft sollten Mütter und Väter getrennt voneinander angeben, inwiefern sie wollten, dass ihre Babys diese Eigenschaft im späteren Leben zeigen werden.
Haben Eltern ihre Erwartungen an die Eigenschaften ihrer Babys verändert, nachdem sie das Geschlecht ihrer Babys kannten? Interessanterweise gaben werdende Väter in beiden Befragungen an, dass ihre Babys im späteren Leben mehr stereotyp männliche als stereotyp weibliche Eigenschaften zeigen sollten. Diese Erwartungen waren allerdings bei der zweiten Befragung, als das Geschlecht der Babys bekannt war, stärker ausgeprägt, wenn die Väter damit rechneten, einen Jungen zu bekommen. Werdende Mütter hatten hingegen keine geschlechtsspezifischen Erwartungen an die Eigenschaften ihrer Babys.
In einer dritten Befragung acht Wochen nach der Geburt bekamen die Eltern erneut die stereotyp männlichen und stereotyp weiblichen Eigenschaften gezeigt. Dieses Mal sollten sie jedoch angeben, inwiefern sie glaubten, dass ihre Babys tatsächlich die jeweilige Eigenschaft besaßen. Es zeigte sich, dass Väter bei ihren Babys mehr stereotyp männliche und weniger stereotyp weibliche Eigenschaften wahrnahmen als Mütter. Außerdem zeigte sich, dass bei Jungen mehr stereotyp männliche und weniger stereotyp weibliche Eigenschaften wahrgenommen wurden als bei Mädchen, wobei dieser Unterschied nur für Väter überzufällig groß war. Tatsächlich haben sich Jungen und Mädchen nicht in ihrem Temperament unterschieden.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass insbesondere Väter dazu neigen, bereits vor der Geburt geschlechtsspezifische Erwartungen an die Eigenschaften ihrer Babys zu haben und nach der Geburt die Eigenschaften ihrer Babys entsprechend wahrzunehmen. Die Effekte sind zwar recht klein, besitzen aber eine hohe Relevanz. Denn wer sein Kind mehr stereotyp männlich wahrnimmt, erzieht es tendenziell auch entsprechend seiner Vorstellungen eines Jungen und kauft beispielsweise eher Spielzeugautos statt Puppen. Dadurch werden diese Stereotype von klein auf an die Kinder weitergegeben.
Imhoff, R., & Hoffmann, L. (2023). Prenatal sex role stereotypes: Gendered expectations and perceptions of (expectant) parents. Archives of Sexual Behavior, 52, 1095-1104. https://doi.org/10.1007/s10508-023-02584-9
Redaktion und Ansprechpartner*in¹: Jennifer Eck¹, Jana Berkessel
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