Schwalbe oder Foul?

- Mareike Wickop –

Warum Schiedsrichtern Fehler zugunsten der Fußballteams ihrer eigenen Kultur unterlaufen.

Es ist Mittwoch Abend, 19 Uhr: Länder­spiel Niederlande gegen England. Zwei Spieler fallen – Foul oder Schwalbe? Der Schiedsrichter steht zwischen den aufgebrachten Fans und den Spielern jeder Mannschaft, von allen Seiten kommen wilde Zurufe. Innerhalb weniger Sekunden soll er entscheiden, welche Konsequenzen der Vorfall haben wird. Der Schiedsrichter entscheidet Foul und zieht die gelbe Karte. Die Presse stellt ihn deswegen an den Pranger – schließlich ist in der Zeitlupe doch klar zu sehen, dass es eine Schwalbe war. Doch eben nur in der Zeitlupe. Aus der Perspektive des Schiedsrichters sah es anders aus – und das macht seine Aufgabe so schwierig.

Worin liegt die Schwierigkeit für einen Schiedsrichter genau? Er (oder sie) sieht eine schnell ablaufende Situation nur einmal und nur aus einem Blickwinkel. Direkt danach muss er unter großem Zeitdruck eine Entscheidung treffen – ohne Zeitlupe, ohne den Rückgriff auf verschiedene Kamerapositionen und ohne die altklugen Reporter. Da können Fehler vorkommen. Tatsächlich erweisen sich etwa 20% der Entscheidungen bei Abseits hinterher als falsch, 7% aller Elfmeter werden zu Unrecht vergeben und in 24% der Fälle kann man auch nach dem Spiel nicht eindeutig eine faire Entscheidung fällen. Diese Fehler wären an sich nicht das große Problem. Dieses besteht vielmehr darin, dass sich die Fehler nicht gleichmäßig auf die gegnerischen Mannschaften verteilen. Wie kann das sein? Weil dem Schiedsrichter in vielen Situationen nicht genügend eindeutige Information zur Verfügung stehen, können sich irrelevante Informationen in den Urteilsprozess einschleichen und diesen systematisch verzerren. Denkbar wäre beispielsweise dass die Farbe der Trikots die Entscheidungen des Schiedsrichters verzerrt. So ist es erwiesen, dass die Farbe Schwarz mit Aggression assoziiert wird und daher eine Mannschaft mit schwarzen Trikots häufiger bestraft wird als eine, deren Spieler weiße Trikots tragen.

Claude Messner und Benjamin Schmid gingen der Frage nach, ob sich die kulturelle Ähnlichkeit zwischen Schiedsrichter und Spielern in den Urteilsprozess einschleichen und die Entscheidungen der Schiedsrichter verzerren kann. Die Forscher nutzten dazu die Mehrsprachigkeit der Schweiz: Zwischen dem französisch- und dem deutschsprachigen Teil bestehen nicht nur sprachliche sondern auch kulturelle Unterschiede. Das hat zur Folge, dass sich ein Schiedsrichter unter Umständen trotz gleicher Nationalität (beide Schweizer) mehr mit der Mannschaft identifiziert, die die gleiche Sprache wie er spricht. Zur Untersuchung ihrer Fragestellung nutzten die Forscher Messner und Schmid Daten von Zeitungen und analysierten auf diese Weise 1033 Spiele der Schweizer Bundes­liga der Männer zwischen 1997 und 2003, bei denen entweder deutschsprachige oder französischsprachige Schiris pfiffen. Geprüft wurde, ob unterschiedliche Kultur­verhältnisse einen Einfluss auf die Höhe des Sieges, die erzielten Punkte, die Anzahl der gelben Karten und die Anzahl der Platz­verweise hatten. Dabei teilte der Schiedsrichter entweder die Kultur mit dem Heimteam, nicht aber mit dem Auswärtsteam, oder Schiedsrichter und Auswärtsteam hatten dieselbe Kultur. Die neutralen Spiele waren diejenigen, bei denen Schiri und beide Teams der gleichen Kultur entstammten oder wenn der Schiedsrichter keine der beiden Kulturen von Heim- oder Gastmannschaft teilte.

Die Ergebnisse der Studie sind verblüffend: Die Heimmannschaft hat dann den größten Vorteil, wenn nur sie den gleichen kulturellen Hintergrund wie der Schiedsrichter hat und die größten Einbußen, wenn nur die Gastmannschaft die gleiche Kultur wie der Schiedsrichter hat. Die Mittelwerte der Gruppen, bei denen Schiedsrichter und Spieler entweder alle derselben Kultur entstammen oder bei denen keine der Mannschaften die Kultur des Schiris teilt, liegen zwischen diesen Ergebnissen.

Die Ergebnisse der Forscher Messner und Schmid deuten daraufhin, dass Schiedsrichter Fehler zu Gunsten von Fußballteams ihrer eigenen Kultur machen. Ob dies allerdings tatsächlich auf die kulturelle Gemeinsamkeit zwischen Schiri und Mannschaft zurückzuführen ist (und nicht auf eine andere, noch unbekannte Variable) bleibt offen. Es scheint jedoch so, als täten Fußballverbände gut daran, kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Wahl der Schiedsrichter zu berücksichtigen.

Messner, C., Schmid, B. (2007). Über die Schwierigkeit, unparteiische Entscheidungen zu fällen. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 38 (2), 105–110.

© Forschung erleben 2008, alle Rechte vorbehalten

Zurück