Selbstüberschätzung durch (ein wenig) Wissen

- Anja Spechtner –

Wir überschätzen unser Können vor allem dann, wenn wir uns schon ein bisschen auskennen.

Ob es um die Einschätzung von Aufgaben, Situationen oder Personen geht: Menschliches Urteilen ist fehleranfällig. Besonders gefährlich kann die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten sein. Sie hat eine Vielzahl weitreichender negativer Folgen: BörsenmaklerInnen gehen vermehrt nachteilige Aktiengeschäfte ein, MedizinerInnen stellen häufiger Fehldiagnosen und in Verhandlungen erhöht Selbstüberschätzung die Gefahr von Konflikten.

Carmen Sanchez und David Dunning begaben sich im Rahmen ihrer Forschung auf Spurensuche, wann und wie Selbstüberschätzung entsteht. Ihre Vermutung: Wenig Erfahrene – also Personen, die in einer Aufgabe oder Fertigkeit noch relativ ungeübt sind oder sich erst wenig Wissen angeeignet haben – sind besonders anfällig, ihre eigene Leistung zu überschätzen. Dies steht der gängigen These gegenüber, laut der hauptsächlich Personen ohne jegliche Kenntnisse sich selbst überschätzen würden. Das Forschungs­team vermutete, dass man ohne jegliches Wissen ratlos vor einer Aufgabe steht. Hat man hingegen bereits etwas gelernt, können Erklärungen oder Lösungs­ansätze gefunden werden. Nur bemerkt man nicht unbedingt, dass diese der eigentlichen Komplexität der Aufgabe nicht gerecht werden und kann sich seiner Sache so schnell zu sicher sein.

Zur Über­prüfung ihrer Vermutungen baten Sanchez und Dunning Personen in verschiedenen Studien beispielsweise, fiktive Krankheiten zu diagnostizieren – eine Aufgabe, in der die Teilnehmenden zunächst keinerlei Kenntnisse hatten. Sie erfassten die Sicherheit der Teilnehmenden bezüglich ihrer gestellten Diagnosen, ob diese tatsächlich korrekt waren, und inwiefern die Teilnehmenden medizinische Theorien über die Bedeutung der Symptome für die Diagnose entwickelten.

Tatsächlich war das Vertrauen in die eigene Leistung zu Beginn der Aufgabe gering, stieg nach einigen Übungs­durchgängen jedoch deutlich stärker an als die Diagnoseleistung. Die Teilnehmenden überschätzten ihre Leistung also nicht von Beginn an, sondern erst nach einigen Lernerfahrungen. Selbst wenn sie für die korrekte Einschätzung ihrer Diagnosen belohnt wurden, zeigte sich das gleiche Muster. Entsprechend der Annahmen des Forschungs­teams wiesen die Teilnehmenden gerade in den ersten Übungs­durchgängen einen deutlichen Anstieg an medizinischen Theorien zum Zusammenhang zwischen Symptomen und Diagnosen auf, der mit einem Schub an Vertrauen in die eigenen Diagnosen einherging.

Selbstüberschätzung ist aufgrund der vielfachen negativen Folgen ein ernsthaftes Problem. Die berichteten Forschungs­ergebnisse deuten darauf hin, dass Unerfahrene sich nicht von Beginn an überschätzen, sondern erst nachdem sie ein wenig Wissen oder Erfahrung sammeln konnten. Eine mögliche Ursache ist, dass besonders zu Beginn eines Lernprozesses plötzlich Erklärungen und Antworten verfügbar sind, deren Genauigkeit man jedoch noch nicht abschätzen kann. So können die greifbaren Ansätze das Vertrauen in die eigene Fähigkeit stärken, selbst wenn sie nicht zutreffen. Wie bereits der Dichter Alexander Pope sagte, kann (nur) etwas Lernen gefährlich sein: „A little learning is a dangerous thing“.

Sanchez, C., & Dunning, D. (2018). Overconfidence among beginners: Is a little learning a dangerous thing? Journal of Personality and Social Psychology, 114, 10–28. doi:10.1037/pspa0000102

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Janin Rössel*, Lea Nahon

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