Sich ins eigene Fleisch schneiden

- Susanne Hirth –

Selbstverletzendes Verhalten wird eingesetzt, um negative Gefühle zu verdrängen oder andere Menschen auf die eigenen Probleme aufmerksam zu machen.

In Filmen, Liedtexten und Zeitschriften, vielleicht sogar im eigenen Bekanntenkreis werden wir mit Menschen konfrontiert, die sich absichtlich selbst verletzen. Die bekannteste und häufigste Methode der Selbstverletzung ist das Aufritzen oder Aufschneiden der Haut, manche Menschen schlagen sich aber auch selbst oder fügen sich Verbrennungen zu. Das Phänomen der nichtsuizidalen Selbstverletzung, also der direkten absichtsvollen Schädigung des eigenen Körpers ohne die Intention sich zu umzubringen, ist relativ weit verbreitet. Geschätzt wird, dass sich 0,7 bis 1,5 Prozent der deutschen Erwachsenen mindestens einmal im Leben absichtlich selbst verletzten. Die Problematik tritt unabhängig von der Ethnie und der gesellschaft­lichen Schicht auf. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern, so „ritzen“ sich Frauen zum Beispiel deutlich häufiger als Männer.

Was aber bringt Menschen dazu die Rasierklinge in die Hand zu nehmen und sich entgegen ihres natürlichen Selbsterhaltungs­triebes körperlichen Schaden zuzufügen?

Der Psychologe Matthew Nock erklärt das Phänomen der Selbstverletzung anhand eines theoretischen Modells, das die Ergebnisse zahlreicher Studien aus verschiedenen Forschungs­richtungen vereint. Er geht davon aus, dass sich Menschen aus verschiedenen Gründen freiwillig verletzen. Einerseits kann die Selbstverletzung dabei helfen von negativen Gedanken und Gefühlen abzulenken oder bei manchen gar positive Gefühle erzeugen. Andererseits kann das selbstverletzende Verhalten auch im zwischenmenschlichen Bereich Vorteile mit sich bringen. So kann es als Mittel eingesetzt werden, um anderen Menschen zu signalisieren, dass ihre Hilfe benötigt wird und der oder die Betroffene es ernst meint.

Warum aber setzen die Betroffenen zum Erreichen dieser Ziele keine weniger schädlichen und schmerzvollen Mittel ein? Gefühle lassen sich auch über Sport, Musik oder Medienkonsum regulieren und zur Kommunikation mit anderen scheint das Mittel der Sprache naheliegender als drastische Maßnahmen wie Schnitte in die Haut.

Die Forschung hat gezeigt, dass unterschiedliche Einflussfaktoren dazu führen können, dass Menschen Selbstverletzung anstelle einer weniger schmerzhaften Alternative zur Regulierung ihrer Gefühle oder zur Lösung zwischenmenschlicher Probleme einsetzen. Zum einen kann selbstverletzendes Verhalten sozial erlernt sein. Die Präsenz des Themas im Freundeskreis oder in der Familie und die zunehmende Darstellung in den Medien führt bei den Betroffenen dazu die Selbstverletzung als eine gebräuchliche Art der Problemlösung wahrzunehmen. Auch ein Wunsch nach Selbst-Bestrafung, der zum Beispiel durch wiederholten Missbrauch entstehen kann, kann zu selbstverletzendem Verhalten führen.

Im Falle schwerer Selbstverletzung ist eine Therapie dringend anzuraten. Sie kann dabei helfen bessere Strategien zum Umgang mit negativen Gefühlen oder für die zwischenmenschliche Kommunikation zu erlernen.

Nock, M. K. (2009). Why do People Hurt Themselves? New Insights into the Nature and Functions of Self-Injury. Current Directions in Psychological Science, 18, 78–83.

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