Sind wir schon da?

- David Grüning –

Wenn die Erwartung an ein Ereignis hoch ist, vergeht die Zeit auf der Hinreise gefühlt langsamer als zurück.

Endlich Urlaub! Eigentlich sollte die Fahrt nur zwei Stunden dauern, aber die Zeit will nicht vergehen. Auf dem Rückweg geht es dann plötzlich ganz schnell und schon sind Sie wieder zurück in den gewohnten vier Wänden. Zoey Chen, Ryan Hamilton und Derek Rucker erklären diesen sogenannten Rückreise-Effekt damit, dass die gefühlt längere Hinreise mit einer Erwartungs­haltung verknüpft sei, beispielsweise durch die Vorfreude auf das Ferienhaus, die bei der Rückreise wegfällt. Diese Erwartungs­haltung wird im Folgenden Antizipation genannt und umfasst sowohl positive als auch negative gefühlsbezogene Erwartungen wie Neugierde, Anspannung und Nervosität. In früheren Studien wurde gefunden, dass körperliche Erregung die Zeit für Personen gefühlt langsamer vergehen lässt. Chen, Hamilton und Rucker haben untersucht, ob die gefühlte Verlangsamung der Zeit mit einer stärkeren Antizipation zusammenhängt.

Um den Einfluss der Erwartungs­haltung auf den Rückreise-Effekt zu untersuchen, baten die Forschenden in einer ersten Studie 99 Personen, sich an ihren letzten Ausflug zu erinnern. Die Teilnehmenden sollten angeben, wie lange die Hin- und Rückreise gedauert hatte und wie sehr sie sich auf den Ausflug gefreut hatten. Die Forschenden fanden, dass die Teilnehmenden die Hinreise im Durchschnitt als länger berichteten als die Rückreise. Zudem interessant: Je mehr sich eine Person auf den Ausflug gefreut hatte, also je stärker die Antizipation war, desto größer wurde dieser wahrgenommene Unterschied der Länge zwischen Hin- und Rückreise. Daran anknüpfend zeigten die Forschenden mithilfe einer einfallsreichen Beeinflussungs­technik in zwei aufeinander folgenden Studien einen direkten Einfluss der Antizipation auf den Rückreiseeffekt. Die Teilnehmenden wurden informiert, dass sie demnächst ein Video sehen würden. Für die eine Hälfte der Teilnehmenden wurde dieses Video so angekündigt, dass sie sich sehr darauf freuten. Für die andere Hälfte der Teilnehmenden war die Ankündigung des Videos neutral. Bevor alle Teilnehmenden das Video gezeigt bekamen, sahen sie für 15 Sekunden einen Ladebildschirm. Nach dem Video wurde noch einmal für 15 Sekunden ein Ladebildschirm gezeigt. Alle Teilnehmenden wurden daraufhin gebeten, einzuschätzen, wie lange der erste im Vergleich zum zweiten Ladebildschirm gezeigt worden war. Die Teilnehmenden, die eine positive Ankündigung des Videos gesehen hatten, überschätzten die Dauer des ersten Ladebildschirms im Vergleich zum zweiten stärker als die Teilnehmenden, die eine neutrale Ankündigung gesehen hatten. Es scheint also, dass Personen, die eine stärkere positive Erwartungs­haltung gegenüber einem Video empfanden, einen größeren zeitlichen Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Ladebildschirm wahrnahmen.

Chen, Hamilton und Rucker geben mit diesen Studien erste Hinweise darauf, dass der Rückreise-Effekt damit erklärt werden könnte, dass die Erwartungs­haltung einer Person die zeitliche Wahrnehmung verändert. Anders als sein Name vermuten lässt, kann der Rückreise-Effekt  außerdem nicht nur bei Rückreisen auftreten. Stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Lebens­mittelgeschäft (Hinreise) und erfahren dann, dass ein*e Freund*in bei Ihnen zu Hause wartet. Es kann gut sein, dass Ihr Heimweg (Rückreise) nun mit einer positiven Erwartungs­haltung erfüllt ist und sich deshalb länger anfühlt.

 

Chen, Z., Hamilton, R., & Rucker, D. D. (2021). Are We There Yet? An Anticipation Account of the Return Trip Effect. Social Psychological and Personality Science, 12(2), 258–265. https://doi.org/10.1177/1948550620916054

Redaktion und Ansprech­partner*in¹: Sebastian Butz¹, Lea Nahon

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