Stereotype – Der Leistungs­killer im Alter

- Kim-Leonie Büsgen –

Werden ältere Menschen mit dem Stereotyp konfrontiert, das schlechte Gedächtnisleistungen im Alter propagiert, führt dies bei ihnen zu mehr falschen Erinnerungen.

Im Alter – so sagt man – werden Leute langsamer und vergesslicher. Ihre Erinnerungs­leistung nimmt ab. Und wer hat nicht schon Sätze gehört oder selbst gesagt wie: „Ach, Oma und Opa, ihr könnt euch nichts mehr merken.“ Doch bisherige Forschung konnte zeigen, dass genau dieses Betonen des altersbezogenen Stereotyps erst zu mehr Vergesslichkeit bei älteren Menschen führen kann. 

Die Sozialpsychologinnen Ayanna Thomas und Stacey Dubois untersuchten zudem, ob sich das Bewusstmachen des Stereotyps schlechterer Erinnerungs­leistungen bei Älteren auch auf ihre Anfälligkeit für „falsche Erinnerungen“ auswirkt. So könnte Frau Müller sich beispielsweise daran erinnern, dass ihre Kinder im Urlaub in Italien (anstatt Spanien) gewesen sind. Falsche Erinnerungen können sich aber auch auf falsches Wiedererkennen beziehen. So mag Herr Müller in der Apotheke denken, dass es genau dieses Medikament war, welches ihm seine Ärztin empfohlen hatte – obwohl es tatsächlich ein anderes mit einem ähnlichen Namen war. Lassen sich denn Ältere tatsächlich häufiger einen Bären aufbinden?

Zur Testung ihrer Fragen untersuchten die Forscherinnen Teilnehmende aus zwei Altersklassen (18–22 und 60–74 Jahre). Alle Teilnehmenden sollten zunächst jeweils 15 inhaltlich verwandte Wörter (wie Note, Klang, Piano) von 12 Listen hinsichtlich ihrer Positivität bewerten. Wie im Alltag sahen die Teilnehmenden die Wörter also zunächst nur, ohne zu wissen, dass sie später zu diesen befragt werden. Nach der Bearbeitung einer anderen Aufgabe wurde je einer Hälfte der jungen und der älteren Gruppe ein Text vorgelesen, der den Rückgang der Erinnerungs­leistung im Alter betonte. Anschließend wurde ihnen mitgeteilt, dass ihre Erinnerungs­leistung untersucht werden würde. Den anderen Teilnehmenden wurde hingegen ein Text ohne Bezug zum Stereotyp vorgelesen und gesagt, dass es in der folgenden Aufgabe um ihre Verarbeitung von Sprache gehen würde. Tatsächlich absolvierten alle Teilnehmenden einen Wiedererkennungs­test, bei dem einige der zuvor bewerteten Wörter vorkamen, aber auch neue, die entweder mit den alten Wörtern assoziiert waren oder nichts mit ihnen zu tun hatten.

Zunächst zeigte sich, dass die älteren Teilnehmenden weniger Wörter, die sie zuvor gesehen hatten, wieder erkannten als die jüngeren Personen – sie waren also tatsächlich etwas vergesslicher. In beiden Gruppen zeigten sich zudem falsche Erinnerungen: Eigentlich neue Wörter wurden als schon gesehen eingestuft – und das insbesondere, wenn sie mit den zuvor bewerteten inhaltlich verwandt waren.  Interessanter Weise schnitten die älteren Teilnehmenden hierbei nur schlechter ab,  wenn sie zuvor mit dem Alters-Stereotyp konfrontiert worden waren. Hatten sie hingegen geglaubt, es ginge um Sprachverarbeitung, unterschieden sich die älteren Teilnehmenden in der Häufigkeit falscher Erinnerungen nicht von den Jüngeren! 

Die Studie zeigt also, dass die Verschlechterung der Gedächtnisleistung, die das Alters-Stereotyp suggeriert, weniger mit dem Altern als mit der negativen Wirkung des Stereotyps selbst zu tun hat! Wir können uns und unseren Lieben also etwas Gutes tun, wenn wir uns weniger über die „Vergesslichkeit der Alten“ beklagen. 

Thomas, A. K., & Dubois, S. J. (2011). Reducing the burden of stereotype threat eliminates age differences in memory distortion. Psychological Science, 22, 1515–1517.

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