Typisch! – Oder doch nicht?

- Ann-Kristin Wagner –

Die positive Beurteilung einer einzelnen Person führt nicht automatisch zu einer positiveren Einschätzung der sozialen Gruppe, der die Person angehört.

Rentner sind geizig, stur und riechen nach 4711. Sie haben viel Freizeit, die sie nicht besser zu nutzen wissen als in Arztpraxen herumzusitzen. Ihr größtes Problem ist es, die Woche so zu organisieren, dass möglichst alle Rabattaktionen bei Penny, Lidl und Aldi effektiv genutzt werden können. Ob solch negative Stereotype, bei denen einer Personen­gruppe ganz bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zugeschrieben werden, berechtigt sind, ist fraglich. Fakt ist aber, dass vielen von uns diese oder ähnliche Dinge einfallen, wenn wir an Rentner denken.

Was aber passiert, wenn wir einem sportlichen, engagierten Rentner begegnen, der diese gängigen Stereotype widerlegt? Wird unser Urteil über eine negativ bewertete Gruppe etwa positiver, wenn wir auf eine Person treffen, die zwar zu dieser Gruppe gehört, aber – im Gegensatz zu unseren Stereotypen über diese Gruppe –positive Eigenschaften besitzt? Nach Annahme der Kontakthypothese sollte dies der Fall sein: Die Begegnung mit einem sympathischen und aktiven Rentner  sollte dabei helfen, Stereotype über Rentner abzubauen und die Gruppe Rentner als Ganzes positiver zu beurteilen.

Ein Forscherteam um den Mannheimer Sozialpsychologen Herbert Bless ging diesen Fragen nach. Hierfür hörten Studierende die Beschreibung einer Person, die der Gruppe der Sinti und Roma angehörte. Die Person wurde dabei mit positiven Eigenschaften beschrieben. Außerdem wurde angedeutet, dass sie einerseits gut in die Kultur der Sinti und Roma integriert, andererseits aber nicht besonders typisch für diese Gruppe sei. Anschließend wurde eine Hälfte der Studierenden noch einmal daran erinnert, dass die Person gut in die Gruppe eingebunden sei, während die andere Hälfte noch einmal daran erinnert wurde, dass die Person eher untypisch für die Gruppe sei. Schließlich sollten die Studierenden angeben, wie stark sie der beschriebenen Person im Speziellen und der Gruppe der Sinti und Roma im Allgemeinen bestimmte negative stereotype Eigenschaften, wie kriminell oder abergläubisch, zuschrieben.

Die Ergebnisse liefern Hinweise, die gegen die Annahmen der Kontakthypothese sprechen. Die beschriebene Person wurde positiver beurteilt, wenn sie als von der Gruppe ausgeschlossen wahrgenommen wurde, als wenn sie als gut integriert galt. Ein umgekehrtes Bild zeigte sich bei der Bewertung der Gruppe: Wurde die untypische (also positiv bewertete) Person als schlecht integriert wahrgenommen, wurde die Gruppe als Ganzes deutlich stereotyper (also negativer) bewertet, als wenn die Person als gut eingebunden galt. Die positive Beurteilung einer untypischen Person führt somit nicht automatisch zu einer positiveren Bewertung der sozialen Gruppe. Nur wenn eine Person mit positiven Eigenschaften als gut in die Gruppe eingebunden wahrgenommen wird, wird auch die Einstellung gegenüber der Gruppe positiver. Wird die gleiche Person dagegen als weniger gut in die Gruppe eingebunden wahrgenommen, wird unser Bild über die Gruppe dagegen sogar negativer.

Wer also demnächst einem Skatebord fahrenden Rentner begegnet, sollte sich an diese Studie erinnern und nicht zu schlecht über die anderen Rentner der Welt denken. Denn möglicherweise ist dieser Rentner typischer für seine Gruppe als wir annehmen.

Bless, H., Schwarz, N., Bodenhausen, G.V. & Thiel, L. (2001). Personalized versus Generalized Benefits of Stereotype Disconfirmation: Trade-offs in the Evaluation of Atypical Exemplars and Their Social Groups. Journal of Experimental Social Psychology, 37, 386–397.

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