Unüberlegt extrem

- Eliane Tröndle –

Wenn Menschen die Wirkungs­weisen politischer Entscheidungen reflektieren, fallen ihre politischen Urteile weniger extrem aus.

Jeden Tag erreichen uns heiße Debatten über politische Fragen – Wie soll der Klimaschutz vorangetrieben werden? Wie positioniert man sich gegenüber einem Militäreinsatz im Ausland? Was ist eine gute Immigrations­politik? Viele Menschen haben eine klare Meinung, welche politische Richtung bei solchen oft komplexen Fragen zu favorisieren wäre. Doch gehen starke politische Meinungen mit einem guten Verständnis einher, wie eine politische Entscheidung zu einem bestimmten Ergebnis führen soll?   

Eine Forschungs­gruppe um Philip M. Fernbach nahm an, dass viele Menschen ihr eigenes Politikverständnis aufgrund einer zu einfachen Vorstellung von politischen Wirkmechanismen überschätzen. Frühere Forschung hat bereits gezeigt, dass Menschen häufig zu selbstsicher in Bezug auf ihr Wissen sind, selbst wenn es um die Funktions­weise von (scheinbar einfachen) Alltagsobjekten wie einem Zahlenschloss geht. Werden sie aber um eine genaue Erklärung gebeten, offenbart sich oft das Fehlen von einem tieferen Verständnis. Laut dem Forschungs­team um Fernbach sind diese Befunde auf die Politik übertragbar: Werden Menschen gebeten, die Aus­wirkungen politischer Entscheidungen zu erläutern, sollte deren Komplexität ersichtlich werden und eine realistischere Sicht auf das eigene Politikverständnis resultieren. Die trügerische Selbstsicherheit wird somit durchbrochen und gemäßigtere politische Einstellungen sollten die Folge sein. 

Zur Über­prüfung dieser Annahmen führte das Forschungs­team eine Studien­reihe in den USA durch. In einem Experiment sollten die Teilnehmenden zunächst ihre Einstellung zu sechs politischen Handlungen (unter anderem das Einführen von Sanktionen gegen den Iran aufgrund seines Nuklear­programms oder die Umsetzung einer leistungs­abhängigen Entlohnung für Lehr­ende) auf einer Abstufung von „stark dagegen“ bis „stark dafür“ angeben. Danach sollten sie einstufen, wie gut sie ihr Verständnis für diese Themen einschätzen. Hierbei wurde hervorgehoben, dass ein gutes Verständnis mit einer genauen Idee über die Aus­wirkungen der jeweiligen Entscheidung einhergehen sollte. Wichtig ist, dass die Teilnehmenden anschließend tatsächlich aufgefordert wurden, die Folgen für zwei Entscheidungen tiefgehend zu erläutern. Abschließend sollten sie nochmals das eigene Verständnis und ihre Einstellung zu den sechs Themen angeben. 

Wie erwartet, schätzten die Teilnehmenden ihr Verständnis nach dem Versuch einer detaillierten Erklärung schlechter ein als zu Beginn der Untersuchung. Je stärker sie ihre Selbsteinschätzung hierbei korrigierten, desto mehr mäßigten sie auch ihre politische Einstellung. Dieser Effekt konnte auf die verstärkte Unsicherheit nach den Erklärungs­versuchen zurückgeführt werden.  

Weitere Studien konnten zudem aufzeigen, dass es nicht ausreicht, die Teilnehmenden zu einer Begründung ihres Standpunktes aufzufordern – schließlich kann dabei einfach auf die erhofften Aus­wirkungen verwiesen werden (beispielsweise: Lehr­ende sollen leistungs­basiert entlohnt werden, damit sie unsere Kinder besser unterrichten). Ein bloßes Nachdenken über das warum für den eigenen Standpunkt scheint also nicht auszureichen. Laut der Studien geht es stattdessen um ein Reflektieren über das „WIE“ sich Entscheidungen auswirken können (Wie soll beispielsweise die Leistung von Lehr­enden festgemacht werden und wie kann sich das auf ihren Lehr­stil und ihre Einstellung zur Arbeit auswirken – oder überhaupt auf die Bereitschaft engagierter Personen sich für den Lehr­beruf zu entscheiden…).

Das Forschungs­team um Fernbach sieht in der Überschätzung des eigenen Politikverständnisses einen wichtigen Faktor, der extreme politische Einstellungen begünstigen kann. Könnte es folglich sinnvoll sein, jede Person vor einer Wahl einem „Politikverständnis-Test“ zu unterziehen? Für zukünftige Forschung wäre es interessant, dieser und ähnlichen Fragen auf den Grund zu gehen.

Fernbach, P. M., Rogers, T., Fox, C. R., & Sloman, S. A. (2013). Political extremism is supported by an illusion of understanding. Psychological Science, 24(6), 939–946. 

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