Utopien braucht das Land

- Kati Leweke –

Das Vorstellen einer idealen Gesellschaft kann die Bereitschaft zu gesellschaft­lichem Engagement fördern.

Vorstellungen einer idealen Gesellschaft – sogenannte Utopien – umfassen beispielsweise eine Gesellschaft ohne Armut oder ohne Gewalt. Die meisten Utopien sind allerdings nur schwer oder gar nicht in die Wirklichkeit umzusetzen. Aber können Utopien dennoch positive Aus­wirkungen auf unser alltägliches Leben haben?

Bisherige Forschung zeigt, dass viele Personen regelmäßig ihr aktuelles Selbst mit ihrem möglichen idealen Selbst vergleichen (zum Beispiel hinsichtlich ihres Körpergewichts). Wird zwischen dem aktuellen und idealen Selbst ein Unter­schied wahrgenommen, kann dies dazu motivieren, das aktuelle Selbst in Richtung des idealen Selbst zu verändern. Werden diese Befunde nun von der individuellen auf eine gesellschaft­liche Ebene übertragen, sollten Personen durch das Nachdenken über gesellschaft­liche Utopien motiviert werden, den Status quo zu verändern. Andererseits könnten Utopien aber auch dazu führen, dass Personen durch das Schwelgen in Idealvorstellungen den Bezug zur Realität verlieren, statt die Gegenwart verändern zu wollen. Des Weiteren könnten Utopien zu einer kritischen Betrachtung der aktuellen Situation und damit zu Un­zufriedenheit führen. Ein Forschungs­team um Julian W. Fernando von der University of Melbourne unter­suchte diese drei möglichen Aus­wirkungen von Utopien in einer Reihe von Studien.

In einer der Studien wurden die Teilnehmenden aufgefordert, einen kurzen Text über eine ideale oder subjektiv bestmögliche Gesellschaft zu schreiben. Danach berichteten die Teilnehmenden ihre Einstellung gegenüber utopischem Denken, ihre Bereitschaft, durch gesellschaft­liches Engagement Veränderungen in der Gesellschaft zu unter­stützen, ihr Bedürfnis, in Idealvorstellungen zu schwelgen und ihre Zufriedenheit mit der aktuellen Gesellschaft.

Die Studien­ergebnisse zeigen, dass eine positivere Einstellung gegenüber utopischem Denken mit einer größeren Bereitschaft zur Veränderung durch gesellschaft­liches Engagement einherging. Gleichzeitig wurde aber weniger Zufriedenheit mit der aktuellen Gesellschaft berichtet. Eine größere Befürwortung von utopischem Denken ging zwar auch mit einem stärkeren Bedürfnis einher, in Idealvorstellungen zu schwelgen. Dieser Befund konnte allerdings in keiner anderen Studie mehr gefunden werden und ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass in dieser Studie ausschließlich Selbstberichtsmaße verwendet wurden. Die Studien weisen also insgesamt nicht darauf hin, dass ein Nachdenken über gesellschaft­liche Utopien zu einer Realitätsflucht in eigene Idealvorstellungen führt.

Den Ergebnissen zufolge kann sich das Nachdenken über gesellschaft­liche Utopien positiv auf unser Alltagsleben auswirken, indem es die Bereitschaft zu gesellschaft­lichem Engagement erhöht. Dafür muss jedoch eine geringere Zufriedenheit mit der aktuellen Situation in Kauf genommen werden. Es bleibt allerdings die Frage offen, unter welchen Umständen sich die berichtete Bereitschaft zu gesellschaft­lichem Engagement im tatsächlichen Verhalten zeigt. Vielleicht müssen sich Utopien auf konkrete gesellschafts­relevante Aspekte beziehen (zum Beispiel Klimaschutz), um konkrete Handlungen zum Wohle der Gesellschaft (zum Beispiel energiesparendes Verhalten) zu fördern.

Fernando, J. W., Burden, N., Ferguson, A., O’Brien, L. V., Judge, M., & Kashima, Y. (2018). Functions of utopia: How utopian thinking motivates societal engagement. Personality and Social Psychology Bulletin, 44, 779–792. doi:10.1177/0146167217748604.

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Jennifer Eck*, Sebastian Butz

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