Vergeben und vergessen?

- Clara Heissler –

Fehl­verhalten in einer Beziehung ohne weiteres zu verzeihen kann unerwünschte Folgen haben.

Torsten, der langjährige Freund Ihrer besten Freundin Laura, ist ein stadtbekannter Casanova. Wieder einmal steht Laura tränenüberströmt bei Ihnen vor der Tür und klagt ihr Leid: Torsten ist erneut in einem fremden Bett gelandet. Und wie immer will Laura ihrem Freund vergeben. Sie hofft, dass Torsten dadurch einsieht, dass Laura die einzig wahre Frau für ihn ist und ihn dies davon abhält, erneut fremdzugehen. Sie jedoch widersprechen: Laura soll Torsten endlich einmal die Meinung geigen und ihm danach eine Zeit lang die kalte Schulter zeigen. Wie soll sich Laura nun verhalten, damit Torsten sich ändert?

Die Reziprozitätsforschung, die das Prinzip der Gegenseitigkeit im menschlichen Verhalten untersucht, würde Laura Recht geben. Sie nimmt an, dass eigenes positives Verhalten zu einem positiven Verhalten des Partners führt. Demnach sollte Torsten also dankbar sein, dass er eine so nette Freundin hat und sollte in Zukunft treu bleiben. Allerdings kann eine Person die Reziprozitätsnorm auch dann erfüllen, wenn sie das unerwünschte Verhalten weiterhin zeigt. Beispielsweise könnte Torsten Laura auch einfach Pralinen oder besonders viel Aufmerksamkeit zum Ausgleich für Ihre Nachsichtigkeit schenken und hätte das Prinzip der Gegenseitigkeit damit aus seiner Sicht erfüllt. Das Problem der Untreue bliebe aber wahrscheinlich weiterhin bestehen.

Ihr Ratschlag entspricht dagegen der Theorie des operanten Lernens. Demnach wird ein Verhalten in Zukunft seltener auftreten, wenn das Verhalten in der Vergangenheit negative Konsequenzen nach sich gezogen hat. Bestraft man  gezielt ein bestimmtes Verhalten, so sollte die Wahrscheinlichkeit für dieses Verhalten anschließend reduziert werden.

Diese Annahme testete James K. McNulty in einer vierjährigen Studie mit frisch verheirateten Paaren. Einmal jährlich berichteten alle Teilnehmenden unabhängig voneinander, wie häufig sie gegenüber ihrem Partner oder ihrer Partnerin im letzten Jahr unerwünschtes Verhalten gezeigt hatten, das heißt psychisch oder physisch gewalttätig geworden waren. Hierbei wurden Verhaltensweisen von Fluchen bis hin zum Benutzen eines Messers genannt. Außerdem gaben die Teilnehmenden an, ob und wie vollständig sie einander vergaben.

Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Laura Torsten lieber nicht so schnell verzeihen sollte. Die PartnerInnen, denen ohne weiteres vergeben wurde, zeigten das unerwünschte Verhalten mit gleichbleibender Häufigkeit in den folgenden Jahren wieder. Hatte ein gewalttätiges Verhalten hingegen negative Konsequenzen (zum Beispiel, indem eine verbale Beleidigung dem Partner nicht gleich vergeben, sondern noch lange vorgehalten wurde), so trat das unerwünschte Verhalten in Zukunft seltener auf.
Torsten eine Standpauke zu halten und ihm die kalte Schulter zu zeigen ist vielleicht nicht unbedingt die angenehmste oder leichteste Variante, kann aber längerfristig dazu führen, dass Torsten tatsächlich sein Verhalten ändern wird. Vergibt Laura ihm sofort, wird Torsten hingegen weniger motiviert sein, sein Verhalten zu ändern und erliegt wahrscheinlich bald wieder der Versuchung einer anderen Frau.

McNulty, J.K. (2011). The Dark Side of Forgiveness: The Tendency to Forgive Predicts Continued Psychological and Physical Aggression in Marriage. Personality and Social Psychology Bulletin, 37(6), 770–783.

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