Viele Freundschaften machen beliebt, oder doch nicht?

- David Grüning –

Wir denken fälschlicherweise, dass andere vor allem mit uns befreundet sein wollen, wenn wir viele Freund*innen haben, obwohl oft genau das Gegenteil der Fall ist.

Wir kennen es aus Filmen: die beliebten Personen mit unzähligen Bekannten und Freundschaften, sind auch die, mit denen scheinbar alle befreundet sein möchten. Aber entspricht das der Realität? Ein Forschungs­team um Kao Si zeigte, dass dem nicht so ist. Genauer präsentierten sie ein Paradox: Wir denken zwar, dass andere mit uns befreundet sein wollen, wenn wir besonders viele Freund*innen besitzen, würden uns selbst aber lieber mit Personen anfreunden, die eher wenige Freundschaften pflegen.

Für diese Er­kenntnis führte das Forschungs­team mehrere Studien durch. In einer Studie beispielsweise wurden Teilnehmende zufällig in vier Gruppen aufgeteilt. Eine Hälfte der Teilnehmenden sollte sich vorstellen, dass sie selbst entweder zu den fünf Prozent an Nutzer*innen auf Facebook mit den meisten Freund*innen gehörten (Gruppe1) oder aber zu den unteren 30%, was die Anzahl an Facebook-Freundschaften angeht (Gruppe 2) – also, dass sie entweder sehr viele oder relativ wenige Freundschaften hatten. Danach schätzten die Teilnehmenden ein, wie wahrscheinlich andere unter diesen Umständen gern mit ihnen befreundet sein würden. Die andere Hälfte der Teilnehmenden wurde hingegen befragt, wie gerne sie sich mit einer Person anfreunden würden, die zu den oberen fünf Prozent (Gruppe 3) oder unteren 30 Prozent (Gruppe 4) bezüglich der Anzahl der Facebook-Freundschaften gehörte.

Wie sahen die Ergebnisse aus? Teilnehmende erwarteten, dass andere sich lieber mit ihnen befreunden würden, wenn sie viele statt wenige Freund*innen auf der Online-Plattform besäßen. Auf der anderen Seite wollten Teilnehmende sich aber tatsächlich lieber mit einer Person mit weniger als mit mehr Freundschaften auf Facebook anfreunden.

Warum kommt es zu diesem Paradox? Die Studien zeigen, dass Teilnehmende bezüglich ihrer Wirkung auf andere eher annahmen, dass mehr Freundschaften positive Eigenschaften wie Beliebtheit und Geselligkeit signalisieren. Wenn es hingegen darum ging, wen sie gerne befreunden würden, dachten Teilnehmende eher an die Qualität der Freundschaft (die unter mehr Freundschaften leiden würde). Entsprechend wurde in einer Folgestudie geprüft, ob sich die Fehleinschätzung, dass andere vor allem mit uns befreundet sein wollen, wenn wir viele Freund*innen haben, reduzieren lässt. Tatsächlich fiel die Fehleinschätzung geringer aus, wenn Teilnehmende daran erinnert wurden, dass Freundschaften Zeit und Zuwendung bedürfen.

Die paradoxen Einschätzungen zeigten sich nicht nur bezüglich Online-Freundschaften.  In drei Studien führte das Forschungs­team sogar „Speed-Friending“ Studien durch – wie Speed-Dating, eben nur für Freundschaften. Beispielsweise konnten sich studentische Teilnehmende dazu entscheiden, sich wirklich mit einer Person zu treffen, um langfristige Freundschaften aufzubauen. Auch hier zeigte sich, dass Teilnehmende eher andere mit wenigen statt vielen Freundschaften treffen wollten.

Paradoxerweise meinen wir also, dass andere vor allem mit uns befreundet sein wollen, wenn wir sehr viele Freund*innen haben, obwohl wir selbst eher das Gegenteil bei anderen suchen. Dies liegt wohl daran, dass uns in dem Fall präsenter ist, dass sich eine hohe Anzahl an anderen Freundschaften negativ auf die Qualität der eigenen Freundschaft auswirken kann. Auch beim Thema Freundschaft ist mehr also nicht immer besser.

 

Si, K., Dai, X., & Wyer, R. S., Jr. (2021). The friend number paradox. Journal of Personality and Social Psychology, 120(1), 84–98. https://doi.org/10.1037/pspi0000244

Redaktion und Ansprech­partner*in¹: Janin Rössel¹, Mona Salwender

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