Weniger als andere zu haben tut physisch weh

-Jacob Weckler –

Wer weniger Geld als andere verdient, berichtet wahrscheinlicher körperliche Schmerzen.

Wer kennt das nicht: Der Arbeits­kollege fährt ein teureres Auto, die Nachbarin hat ein größeres Haus und im Bekanntenkreis verdient immer irgendjemand mehr als man selbst. Soziale Vergleiche wie diese können sich maßgeblich auf unser psychisches Wohlbefinden auswirken und sogar mit Stress oder depressiven Symptomen einhergehen. Aber sind Vergleiche, bei denen wir „den Kürzeren ziehen“, auch mit mehr körperlichen Schmerzen verbunden?

Dieser Frage ging die Forscherin Dr. Lucia Macchia von der Universität London nach. Sie wollte herausfinden, ob Personen mit einem geringeren Einkommen als andere Befragte gleicher Herkunft im Alltag mehr körperliche Schmerzen erleben als Personen, die finanz­iell besser dastehen.

Die Forscherin wertete die Ergebnisse einer großen repräsentativen Umfrage aus, an der mehr als eine Million Menschen aus 146 Ländern teilnahmen. Erfragt wurden dabei unter anderem die in letzter Zeit erlebten körperlichen Schmerzen sowie das aktuelle monatliche Einkommen. Die Studie ergab, dass Personen in der Tat mehr körperliche Schmerzen berichten, je niedriger ihr Einkommen ist. Interessanterweise zeigte sich zudem, dass es für das Erleben von körperlichen Schmerzen wohl nicht nur auf das absolute Einkommen ankommt, sondern auch darauf, wie hoch das Einkommen einer Person relativ zu Personen vergleichbarer Herkunft ist. Der gefundene Zusammenhang zwischen Einkommen und empfundenem Schmerz blieb auch dann bestehen, wenn der Einfluss von verschiedenen typischerweise mit Schmerzerleben verbundenen Eigenschaften, wie beispielsweise einem höheren Alter, berücksichtigt wurde.

Einen plausiblen Erklärungs­ansatz für diese Ergebnisse bietet die psychologische Theorie der “latenten Deprivation”. Demnach ist es für das Wohlbefinden des Einzelnen wichtig, wie gut man im sozialen Vergleich mit anderen aus der eigenen Gruppe dasteht. Wenn Personen dabei relativ zur Gruppe schlecht abschneiden, ist das häufig mit negativen Empfindungen wie Neid oder Un­gerechtigkeit verbunden, die zu Stress oder einem Angstgefühl führen können. Dies kann es wiederum wahrscheinlicher machen, dass körperliche Schmerzen empfunden werden. Es könnte ebenfalls sein, dass Personen mit geringerem Einkommen relativ zu anderen Personen vergleichbarer Herkunft weniger Aufstiegs­chancen in der Karriere haben oder aufgrund eines niedrigeren Status häufiger Opfer von Diskriminierung werden. Auch derartige Erfahrungen können zu negativen Gefühlen führen, die wiederum das Erleben von körperlichen Schmerzen begünstigen können.

Eine ungleiche Einkommensverteilung kann Personen tatsächlich „wehtun“. Diese Er­kenntnis ist vor allem relevant, da mittlerweile mehrere Studien zeigen, dass das Erleben von körperlichen Schmerzen in den letzten Jahren zugenommen hat und damit eine zunehmende Herausforderung für das Gesundheits­system darstellt. Die Studie von Macchia liefert damit einen weiteren Grund, intensiver über politische Maßnahmen nachzudenken, mit denen die Einkommensungleichheit in unserer Gesellschaft reduziert werden kann.
 

Macchia, L. (2024). Having less than others is physically painful: Income rank and pain around the world. Social Psychological and Personality Science, 15(2), 215–224. https://doi.org/10.1177/1948550623116792

Redaktion und Ansprech­partner*in¹: David Grüning¹, Dominik Stöckle

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