Wenn alle den größten Beitrag leisten

- Vanessa Runft –

Je größer die Gruppe, desto eher wird der persönliche Beitrag für die Gruppen­leistung überschätzt.

Eigentlich können WG-Mitglieder nicht für mehr als 100% der Haushalts­aufgaben verantwortlich sein. Übernimmt Paul in 60% der Fälle das Staubsaugen, scheint Lisa es wohl nur in den verbleibenden 40% zu tun. Lässt man jedoch Lisa und Paul unabhängig voneinander einschätzen, welcher Anteil des Saugens auf ihre Kosten geht, so ergeben sich in Summe erwartungs­gemäß über 100% – beide denken, dass in 60% der Fälle sie es sind, die dem Staub den Kampf ansagen. Das Phänomen, dass Menschen tendenziell ihren persönlichen Beitrag für ein gemeinsames Gruppen­ergebnis überschätzen, ist schon länger in der Psychologie bekannt. Doch erst kürzlich wurde untersucht, welche Rolle dabei die Größe der Gruppe spielt.

Juliana Schroeder und ihre Kollegen nahmen an, dass die Überschätzung des eigenen Beitrags mit steigender Gruppen­größe zunimmt. Um dies nachzuweisen, führten sie eine Studie durch und teilten Versuchsteilnehmende in 3er- und 6er-Gruppen ein. Jede Person erhielt eine Art Griff, den sie zusammendrücken sollte. Die Geräte zählten die Handgriffe. Das angebliche Ziel war es, innerhalb der Gruppe in einer Minute in Summe die meisten Handgriffe zu erzielen. In einer anschließenden Umfrage sollten die Teilnehmenden einschätzen, welchen prozentualen Anteil an den gesamten Handgriffen ihrer Gruppe sie wohl persönlich beigetragen haben. Dabei wurde die eine Hälfte direkt um eine Einschätzung gebeten, die anderen wurden zusätzlich dazu aufgefordert, auch die geleisteten Handgriffe der anderen Gruppen­mitglieder einzuschätzen.

Wie vorhergesagt betrug die Summe des geschätzten Anteils aller Personen einer Gruppe bei beiden Gruppen­größen im Schnitt über 100%. In den größeren Gruppen überschätzten die Teilnehmenden ihre persönliche Verantwortung für das Ergebnis allerdings noch mehr. Bei Personen, die die Leistung der anderen bewerteten und damit mit in Betracht zogen, traten hingegen kaum Überschätzungs­effekte auf – unabhängig davon, ob es sich um eine 3er oder 6er Gruppe handelte.

Die Forschenden erklären diese Ergebnisse damit, dass Menschen „egozentrisch“ denken – also sich selbst und ihre eigene Leistung im Mittelpunkt sehen. Zusätzlich hat eine Person meist nur eine konkrete Vorstellung von ihrem persönlich geleisteten Beitrag, wohingegen die Leistungen der anderen weniger konkret vorstellbar bleiben. Je größer die Gruppe, desto weniger überschaubar sind die Beiträge anderer – eine angemessene Einschätzung der Leistung anderer Mitglieder wird somit immer schwieriger. Dies führt dazu, dass der eigene Beitrag überschätzt wird. Allerdings können selbst kleinste Hinweise auf die Verantwortung der Gruppen­mitglieder den Effekt reduzieren. Individuen tendieren also nicht dazu, ihren eigenen Anteil zu überschätzen, weil sie un­fähig sind den Beitrag der anderen in Betracht zu ziehen, sondern aufgrund der Tendenz, diesen zu übersehen, wenn sie nicht dazu aufgefordert werden.

In sämtlichen alltäglichen Situationen ist eine gute Teamarbeit gefragt. Sollte ein WG-Mitglied dennoch einmal das Gefühl haben, viel mehr zu tun als die anderen, so könnte es ein erster Schritt sein, sich Gedanken darüber zu machen, was denn die übrigen Beteiligten leisten. Ist es wirklich so, dass Lisa viel weniger im Haushalt macht? Kümmert sie sich nicht eventuell häufiger um den Abwasch? Dank solcher Abwägungen ließe sich möglicherweise die eine oder andere Spannung vermeiden.

Schroeder, J., Caruso, E. M., & Epley, N. (2016). Many hands make overlooked work: Over-claiming of responsibility increases with group size. Journal of Experimental Psychology: Applied, 22(2), 238–246. doi:10.1037/xap0000080

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Mariela Jaffé*, Julia Engel

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