Wenn Armut zur doppelten Belastung wird

- Dennis Uhrig –

Finanz­ielle Sorgen können das Lösen von Problemen beeinträchtigen, da sie mentale Kapazitäten beanspruchen.

Finanz­iell benachteiligte Menschen haben häufig mit Vorurteilen zu kämpfen. So wird ihnen zum Beispiel nachgesagt, dass sie sich nicht ausreichend um ihre Probleme kümmern würden. Ein Forschungs­team um Anandi Mani und ihren Kollegen würde dagegen halten, dass sich Ärmere stets mit ihrer finanz­iellen Lage beschäftigen müssen – „Wann kommt das nächste Einkommen? Wo können Ausgaben gespart werden...?“. 

Solche finanz­iellen Sorgen beanspruchen unsere begrenzten mentalen Kapazitäten – dreht sich also alles um finanz­ielle Probleme, können nicht mehr ausreichend Ressourcen für andere Aufgaben und deren Lösung vorhanden sein. Dieser Ansatz könnte erklären, warum es Menschen in finanz­ieller Not manchmal schwer fällt, über ihre finanz­iellen Sorgen hinaus schwierige Aufgaben zu meistern.

Das Forschungs­team führte eine Reihe an Studien durch, um zu überprüfen, ob Armut und die damit verknüpften finanz­iellen Sorgen mentale Ressourcen einschränken. Zunächst wurden diese Zusammenhänge mit einer Befragung von Zuckerrohrbauern in Indien untersucht. Der Wohlstand dieser Bauern ist einem zyklischen Wandel unterlegen: Vor der Ernte sind sie eher in finanz­iellen Nöten, nach der Ernte hingegen sind sie relativ wohlhabend. In der Studie wurden die Teilnehmenden gebeten, sowohl vor als auch nach ihrer Ernte Tests durchzuführen, die mentale Kapazitäten messen. Wie erwartet, erzielten die Bauern nach der Ernte bessere Ergebnisse als davor. Aufgrund zusätzlicher Daten folgerten die AutorInnen, dass die schlechtere Leistung vor der Ernte am besten durch die zusätzliche mentale Belastung aufgrund von Geldsorgen erklärt werden könne. Alternativ­erklärungen für die unterschiedlichen Leistungen, wie zum Beispiel körperliche Erschöpfung, Mangelernährung vor der Ernte oder auch Effekte des jeweiligen Erntemonats, konnten weitestgehend ausgeschlossen werden.

Zusätzliche Labor­studien in den USA ergaben darüber hinaus, dass ein relativ geringes Einkommen nicht nur mit eingeschränkten mentalen Kapazitäten einhergehen kann, sondern auch mit schlechteren Lösungs­ansätzen für Probleme. Allerdings war dies nur der Fall, wenn die Aufgaben finanz­ielle Probleme schilderten. Bei gleich schwierigen Aufgaben, die keine finanz­iellen Probleme (und somit vermutlich keine finanz­iellen Sorgen) beinhalteten, erzielten die Teilnehmenden unabhängig vom Einkommen vergleichbare Ergebnisse – sowohl bei den Tests zu mentalen Kapazitäten als auch bei den Aufgaben zum Problemlösen.

Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass finanz­ielle Sorgen ein wichtiges Problem für finanz­iell Benachteiligte darstellen – nicht nur aufgrund der Geldsituation, sondern auch wegen der mentalen Kapazitäten, die sie beanspruchen. Drehen sich die Gedanken immerzu um die aktuelle Geldlage, sind möglicherweise nicht mehr genug Kapazitäten frei, um sich mit langfristigen komplexen Problemlösungen oder bürokratischen Hürdenläufen zu beschäftigen. Da dies die finanz­ielle Lage weiter verschlechtern könnte, sollten hier politische Maßnahmen ansetzen. Sicher ist hierzu weitere Forschung notwendig. Die Forschungs­ergebnisse von Mani und Kollegen zeigen jedoch allgemein auf, dass finanz­ielle Sorgen ein besseres Verständnis fordern.

Mani, A., Mullainathan, S., Shafir, E., & Zhao, J. (2013). Poverty impedes cognitive function. Science, 341, 976–980. doi: 10.1126/science.123804

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