Wenn Mitgefühl zu Feindseligkeit führt

- Friedrich Meixner –

Mitgefühl mit einer Person zu haben, kann zu allgemeiner Feindseligkeit gegenüber anderen Menschen führen.

Stellen Sie sich ein armes Kind vor, das an Hunger leidet. Oder denken Sie an eine obdachlose Person, die von einer Gruppe Jugendlicher ausgelacht wird. Was empfinden Sie dabei? Wenn Sie jetzt Mitgefühl verspüren und das Gefühl haben, etwas tun zu wollen, sind Sie sicher nicht allein. Jahrzehnte sozialpsychologischer Forschung haben gezeigt, dass Mitgefühl ein treibender Faktor für prosoziales Verhalten ist. Kann Mitgefühl aber auch einen negativen, ja paradoxerweise sogar ‚antisozialen‘ Beigeschmack haben?

Genau das nahmen die Forscher Johannes Keller und Stefan Pfattheicher an. Ihrer Beobachtung nach beinhalten Situationen,die Mitgefühl auslösen, häufig feindseliges und selbstsüchtiges Verhalten seitens Dritter. Man denke an Nachrichten über Mobbing, vernachlässigte Kinder oder die Opfer von Misshandlungen... Kann Mitgefühl bei solchen Situationen die eigene Weltsicht kalt lassen? Oder mag es sogar dazu führen, dass man allgemein Schlechtes von anderen erwartet? Die Annahme der Forscher war, dass Personen, die mit leidvollen Erfahrungen anderer mitfühlen, auch sensibel auf das negative Verhalten Dritter reagieren und in der Folge allgemein eine feindselige Haltung gegenüber anderen entwickeln (im Sinne von „Die Welt ist schlecht“). Dies sollte laut den Autoren insbesondere für Menschen gelten, die in sozialen Situationen auf Negatives fokussieren. 

Diese Annahmen wurden in einem Experiment untersucht. Die Fokussierung auf Negatives wurde zunächst mittels eines Fragebogens erhoben, in dem die Teilnehmenden beispielsweise angaben, inwiefern sie negative Erlebnisse in ihrem Leben befürchten und bestrebt sind, negative Ereignisse zu vermeiden. Anschließend lasen sie ein Interview mit einem Gefängnisinsassen, der von den Hintergründen seiner Tat berichtete und erzählte, dass er misshandelt werde und mehrfach von Mitinsassen verprügelt worden sei. Um Mitgefühl auszulösen, wurde einigen Teilnehmenden nahe gelegt, sich beim Lesen des Textes in die Situation des interviewten Mannes hineinzuversetzen und sich vorzustellen, wie er sich fühlte. Die anderen Befragten wurden gebeten, beim Lesen des Interviews eine objektive, distanzierte Haltung einzunehmen. Abschließend wurde die allgemeine Feindseligkeit der ProbandInnen mit verschiedenen Fragen (z.B. hinsichtlich verbitterter Gefühle und Unterstellungen negativer Motive bei anderen Personen) erfasst. 

Die Befunde zeigten das erwartete Muster. Wurde Mitgefühl angeregt (im Gegensatz zur Distanzierung) berichteten Teilnehmende mit einem relativ starken Fokus auf Negatives mehr allgemeine Feindseligkeit. Bei Personen, die weniger stark auf Negatives in sozialen Situationen fokussierten, zeigte sich der Effekt von Mitgefühl auf eine feindseligere Einstellung jedoch nicht. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Mitgefühl eine positive und eine negative Seite haben kann. Zum einen vermag Mitgefühl Hilfsbereitschaft zu fördern, wie in bisheriger Forschung gezeigt wurde. Zum anderen kann es aber auch eine feindselige Weltsicht begünstigen, insbesondere wenn man dazu neigt, auf negative Aspekte in sozialen Situationen zu fokussieren. Findet man sich in so einer Lage wieder – zwischen Mitgefühl und Feindseligkeit – so ist es vielleicht angebracht, die negative Sicht zu hinterfragen.

Keller, J., & Pfattheicher, S. (2013). The Compassion-hostility-paradox: The interplay of vigilant, prevention-focused self-regulation, compassion and hostility. Personality and Social Psychology Bulletin, 39, 1518-1529.

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Janin Rössel*, Christiane Schöl

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