„Wer lügt, hat die Wahrheit immerhin gedacht.“ – Oliver Hassenkamp

- Verena Hofmann –

Frauen erhalten für gleichschlechte Leistung positiveres Feedback als Männer.

Manchmal rutschen sie uns spontan heraus, andere Male erzählen wir sie ganz bewusst: Notlügen oder „white lies“ wie sie im Englischen heißen. „Weiße Lügen“ also, die unschuldig gemeint sind und meist einem unschädlichen Zweck dienen sollen. Wissenschaft­lich definiert dienen Notlügen der Aufrechterhaltung sozialer Bindungen. Zugrunde liegen vielfältige interpersonelle Ziele: Sei es, das Gegenüber nicht zu verletzen, oder den eigenen Status zu erhalten.

Im Alltag müssen Notlügen zunächst keine großen Probleme auslösen. Die Forscherinnen Lily Jampol und Vivian Zayas vermuteten jedoch, dass sie im Kontext von beruflichen Leistungs­beurteilungen zu kritischen Ergebnissen führen können: Wird Leistungs­feedback systematisch ins Positive verzerrt, sind die Beurteilten in ihrer Möglichkeit eingeschränkt, ihre Leistung richtig einzuschätzen und zu verbessern.

Typischerweise unterscheiden sich die Leistungs­bewertungen von Männern und Frauen. Frauen werden zum Beispiel weniger zielstrebig oder kompetent beschrieben, insgesamt finden sich bei ihnen aber mehr positive Ausdrücke. Auf diesen Befunden aufbauend, vermuteten die Forscherinnen, dass Frauen in direkten Leistungs­beurteilungen weniger akkurates und stärker ins Positive verzerrtes Feedback erhalten als Männer. Um diese Annahmen zu überprüfen, führten die Forscherinnen zwei Studien durch. 

In einem ersten Experiment legten sie 182 Teilnehmenden ein fiktives Szenario vor, in dem das Management eines Unternehmens die Leistung einer*s Mitarbeitenden als schlecht einstufte. Im Anschluss wurde zufalls­basiert bestimmt, welches Feedback aus einer Reihe von sechs Optionen dem*der Mitarbeiter*in angeblich gegeben worden war. Diese Optionen reichten von hart, aber wahrheitsgemäß bis freundlich, aber kaum wahrheitsgemäß. Aufgabe der Teilnehmenden war es unter anderem, das Geschlecht der beurteilten Person zu erraten. Die Auswertung zeigte, dass die beurteilte Person beinahe doppelt so häufig für eine Frau gehalten wurde, wenn das Management scheinbar die freundliche, aber kaum wahrheitsgemäße im Vergleich zur harten, aber wahrheitsgemäßen Option ausgewählt hatte. Dieser Effekt war unabhängig vom Geschlecht der Teilnehmenden.

In einem zweiten Experiment sollten 66 Teilnehmende zwei unter­durchschnittlich gut geschriebene Essays benoten. Nachdem die Teilnehmenden ihre Note abgegeben hatten, erhielten sie die Information, dass einer der beiden Essays von einer Frau, der andere von einem Mann geschrieben worden sei. Daraufhin wurden sie gebeten, ihre Bewertung als direktes Feedback für die Autor*innen zu formulieren. Auf diese Art wollten die Forschenden testen, ob die Teilnehmenden nach Offenlegung des Geschlechts des*r Autors*in ihre Einschätzungen anpassten. Als Notlüge im direkten Feedback definierten die Forschenden jede positive Abweichung der kommunizierten Bewertung von der ersten Benotung des Essays.

Die Ergebnisse offenbarten, dass die direkte Bewertung von der ursprünglichen fast eine volle Note nach oben abwich – aber nur, wenn eine Frau, nicht wenn ein Mann bewertet worden war. Jedoch war das Feedback für beide gleich konstruktiv.

Es bleibt noch unklar, inwiefern nach oben verzerrtes Feedback Leistungs­zuwachs verhindert. Mithilfe der vorliegenden Ergebnisse können wir aber im Arbeits­alltag die Chancengleichheit verbessern, indem wir darauf achten, wie wir Feedback möglichst wahrheitsgemäß formulieren.

 

Jampol, L., & Zayas, V. (2020). Gendered white lies: Women are given inflated performance feedback compared with men. Personality and Social Psychology Bulletin, 00(0), 1–13. https://doi.org/10.1177/0146167220916622

Redaktion und Ansprech­partner*in¹: Bianca von Wurzbach¹, Mona Salwender

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