Wer zuerst kommt, kriegt die Intelligenz?!

- Anne Landhäußer –

Dass Erstgeborene oft erfolgreicher sind als ihre Geschwister, hat wohl soziale Ursachen.

Wir schrieben das Jahr 1874, als Sir Francis Galton sein Werk „English Men of Science – their Nature and Nurture“ veröffentlichte. Der britische Naturforscher und Schriftsteller, der sich insbesondere mit der Vererbung von Intelligenz und Talenten befasste, stellte darin fest, dass wichtige gesellschaft­liche Positionen so oft von Erstgeborenen besetzt waren, dass da mehr als Zufall im Spiel sein musste. Damit brachte er einen Stein ins Rollen.

Seit weit über 100 Jahren nun werden Studien durchgeführt, in denen der Effekt der Geburtsreihenfolge auf die Intelligenz und Talente der Kinder gemessen wird. Aufsehen erregte beispielsweise in den 70er Jahren eine Untersuchung an jungen holländischen Männern, bei der sich ein negativer Zusammenhang zwischen der Intelligenz und der eigenen Position in der Geburtsfolge zeigte: Wer ältere Geschwister hatte, schnitt in einem Intelligenztest schlechter ab als Erstgeborene oder Einzelkinder. 

Soziologen, Psychologen und Demographen versuchten, dieses Phänomen mit unterschiedlichen Modellen zu erklären. Auch die These, dass der Zusammenhang zwischen Geburtsfolge und Intelligenz nur ein Artefakt sei, stand im Raum. Argumentiert wurde, dass gebildete und intelligente Eltern eher wenige Kinder bekommen, während das Bildungs­niveau in Großfamilien typischerweise niedriger ist. Die Chance, dass ein Kind das Erstgeborene ist, ist folglich größer im kinderarmen Bildungs­bürgertum. Diese Tatsache kann den Effekt jedoch nur teilweise erklären, denn auch wenn man Geschwister direkt miteinander vergleicht, lässt sich feststellen, dass die früher geborenen zu einer höheren Intelligenz tendieren – selbst dann, wenn diese Geschwister in einer Großfamilie aufwuchsen.

Was liegt diesen Befunden zugrunde? Ist die geistige Überlegenheit Erstgeborener vielleicht genetischen Ursprungs? Vermutlich nicht, denn wären biologische Faktoren dafür verantwortlich, dass Erstgeborene tendenziell intelligenter sind als die nachfolgenden Kinder, würde das implizieren, dass auch Zweitgeborene, die ohne das ältere Geschwisterkind aufwuchsen, im Durchschnitt eine geringere Intelligenz aufweisen sollten als Erstgeborene. Dies jedoch ist nicht der Fall. Die Forscher Petter Kristensen und Tor Bjerkedal konnten an norwegischen Männern feststellen, dass Zweitgeborene, deren älteres Geschwisterkind verstorben war, im IQ-Test nicht schlechter abschnitten als Erstgeborene.

Dieses Ergebnis lässt darauf schließen, dass es soziale Faktoren sind, die den Erfolg der Erstgeborenen fördern. Das älteste Kind der Familie wird häufig besonders gefördert und erhält mehr Aufmerksamkeit von Seiten der Eltern, so dass es bessere Chancen hat, sich in seinen Fähigkeiten zu entfalten. Wenn Erstgeborene schlauer sind, liegt das also an der sozialen Position, die ein Kind innerhalb der Familie einnimmt – und nicht an der Tatsache, dass es früher zur Welt kam als seine Geschwister.

Kristensen & Bjerkedal (2007). Explaining the Relation Between Birth Order and Intelligence. Science, 316, 1717.

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