Werden ethnische Minderheiten auch in Deutschland automatisch negativ wahrgenommen?

- Matthias Elsner –

Mitglieder ethnischer Minderheiten werden im Vergleich zu Mitgliedern der ethnischen Mehrheit schneller als gefährlich und weniger schnell als ungefährlich wahrgenommen.

Immer mal wieder hört man in den Nachrichten über Polizeigewalt gegen unbewaffnete, meist afroamerikanische Personen in den USA. Diese tragischen Ereignisse werden in der Sozialpsychologie unter anderem mit dem sogenannten „Shooter Bias“ in Verbindung gebracht. Der Shooter Bias hat sich wiederholt in zu Forschungs­zwecken entwickelten Computer­spielen gezeigt, in denen auf verschiedene Zielpersonen geschossen werden sollte, falls diese bewaffnet waren. Dabei wurde die Hautfarbe der bewaffneten und unbewaffneten Zielpersonen variiert, was zwei Ergebnisse hervorbrachte, die den Shooter Bias kennzeichnen: Erstens wurde in den Computer­spielen durchschnittlich schneller auf bewaffnete afroamerikanische als auf bewaffnete weiße Zielpersonen geschossen. Zweitens wurde virtuell häufiger irrtümlich auf unbewaffnete afroamerikanische als auf unbewaffnete weiße Zielpersonen geschossen. Interessanterweise zeigen sowohl weiße als auch afroamerikanische Personen in den USA den Shooter Bias. Es wird angenommen, dass dieses Phänomen auf die in den USA weitverbreiteten Vorurteile gegenüber afroamerikanischen Personen zurückzuführen ist, da diese beispielsweise in Medienberichten häufig mit Gewalt, Gefahr und Bedrohung in Zusammenhang gebracht werden. Aber handelt es sich beim Shooter Bias um ein rein amerikanisches Phänomen? Oder lässt er sich in ähnlicher Weise auch in Deutschland wiederfinden? Und findet er sich auch für andere, alltäglichere Verhaltensweisen?

Mit dieser Frage beschäftigte sich ein Forschungs­team um Iniobong Essien. Dazu entwickelten die Forschenden ein Computer­spiel, in dem sich deutsche Teilnehmende virtuell als PassantInnen auf der Straße befanden. Auf ihrer Straßenseite erschien dann ein Mann, dessen Äußeres entweder das eines typisch weißen Deutschen oder das eines typisch türkischstämmigen Deutschen widerspiegelte. Türkischstämmige Deutsche wurden als Zielpersonen gewählt, da diese Gruppe die größte ethnische Minderheit in der Bundes­republik darstellt. Der Mann, der den Teilnehmenden virtuell begegnete, hielt entweder ein Messer in der Hand oder einen neutralen Gegenstand, wie beispielsweise ein Smartphone. Die Teilnehmenden hatten die Aufgabe, möglichst schnell auf den Mann zu reagieren. War der Mann mit einem Messer bewaffnet, sollten sie die Straßenseite wechseln. War der Mann unbewaffnet, sollten sie auf der Straßenseite verbleiben und auf ihn zugehen.

Wie vermutet zeigte sich, dass die Teilnehmenden bei virtuellen Begegnungen mit einem bewaffneten Mann die Straßenseite schneller wechselten, wenn sein Äußeres dem eines typisch türkischstämmigen statt dem eines typisch weißen Deutschen entsprach. Außerdem benötigten die Teilnehmenden länger für ihre Entscheidung, auf einen unbewaffneten Mann zuzugehen, wenn dieser augenscheinlich türkischer Abstammung war.

Die Ergebnisse legen nahe, dass der Shooter Bias kein rein amerikanisches Phänomen ist und nicht nur beim Gebrauch von Schusswaffen, sondern auch in alltäglichen Verhaltensweisen zum Tragen kommt. Da vermutlich vorherrschende negative Vorurteile gegenüber ethnischen Minderheiten den Shooter Bias bedingen, könnte eine größere Aufmerksamkeit für solche Vorurteile und deren Folgen dabei helfen, diesem entgegenzuwirken. Aufgabe weiterer Forschung wäre es zu untersuchen, inwieweit der Shooter Bias beispielsweise Gerichtsurteile beeinflusst, denn vor dem Gesetz sollte jeder gleich sein.

Essien, I., Stelter, M., Kalbe, F., Koehler, A., Mangels, J., & Meliß, S. (2017). The shooter bias: Replicating the classic effect and introducing a novel paradigm. Journal of Experimental Social Psychology, 70, 41–47. doi: 10.1016/j.jesp.2016.12.009

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Jennifer Eck*, Sebastian Butz

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