Werden Mädchen unwillentlich weniger zu räumlichem Denken angeregt als Jungen?

- Jette Völker –

Schon im Vorschulalter verwenden Jungen räumliche Sprache mehr als Mädchen, da ihnen gegenüber selbst häufiger räumliche Sprache verwendet wird.

Geschlechter­unterschiede sind stets ein beliebtes Thema von Witzen und führen zu zahlreichen Klischees. So wird gescherzt, dass Frauen angeblich nicht einparken und Männer nicht zuhören können. Kommt Ihnen das bekannt vor? Einer der wenigen Unterschiede, der in der Forschung jedoch tatsächlich gezeigt werden konnte, ist ein Vorteil von Männern gegenüber Frauen im räumlichen Denken. Doch wie kann man diesen Geschlechter­unterschied erklären?

Bisherige Befunde zeigen, dass die Verwendung räumlicher Sprache das räumliche Denken positiv beeinflusst. Ein möglicher Ansatz zur Erklärung von Verhalten ist daher, sich die Unterschiede in der Verwendung räumlicher Sprache anzuschauen. Diesem Thema widmete sich ein Forschungs­team um Shannon Pruden, indem sie die Häufigkeit von räumlichen Wörtern in der Sprache von Vorschulkindern untersuchten. Als räumliche Wörter wurden dimensionale Adjektive (z.B. groß), Formbeschreibungen (z.B. Kreis) und räumliche Merkmale (z.B. Ecke) definiert. Das Forschungs­team nahm an, dass Jungen schon im Vorschulalter häufiger räumliche Wörter benutzen als Mädchen. Darüber hinaus vermuteten sie, dass Eltern im Umgang mit Jungen häufiger räumliche Wörter benutzen als im Umgang mit Mädchen, und dass dies wiederum die häufigere Verwendung der räumlichen Sprache bei Jungen erklärt.

Diese Annahmen wurden in einer langfristigen Studie untersucht, an der Mädchen und Jungen im Vorschulalter mit jeweils einem Elternteil teilnahmen. Diese Eltern-Kind-Gespanne wurden alle vier Monate, insgesamt acht bis neunmal, 90 Minuten lang beim möglichst natürlichen gemeinsamen Spielen gefilmt. Im Nachhinein wurde dann gezählt, wie häufig Eltern und Kinder verschiedene einzigartige räumliche und nicht-räumliche Wörter nutzten.

Die Annahmen des Forschungs­teams wurden bestätigt: Jungen benutzten mehr verschiedene räumliche Wörter, aber nicht allgemein mehr Wörter, als Mädchen. Das gleiche Muster zeigte sich bei den Eltern, da diese im Gespräch mit Jungen mehr einzelne räumliche Wörter nutzten als mit gleichaltrigen Mädchen, aber nicht generell mehr mit Jungen sprachen. Diese Ergebnisse wurden zusätzlich über die Zeit hinweg betrachtet. Das Forschungs­team konnte zeigen, dass Jungen im Alter von 34 – 46 Monaten mehr einzelne räumliche Wörter benutzten als Mädchen. Dieser Unterschied konnte dadurch erklärt werden, dass die Eltern im Gespräch mit diesen Jungen zuvor, im Alter von 14 – 26 Monaten, mehr einzelne räumliche Wörter nutzten als mit gleichaltrigen Mädchen. Das Hauptergebnis ist also, dass die untersuchten Jungen mehr einzelne räumliche Wörter nutzten als die Mädchen, da ihre Eltern vorher mit ihnen mehr über räumliche Beschreibungen sprachen als mit Mädchen.

Zusammengefasst konnte diese Studie einen Hinweis darauf geben, dass sich bereits im Vorschulalter die räumliche Sprache zwischen Mädchen und Jungen durch elterliche Kommunikation unterscheiden kann. Dies könnte möglicherweise die eingangs erwähnten Geschlechter­unterschiede im räumlichen Denken erklären, da vorherige Forschung bereits zeigte, dass räumliche Sprache das räumliche Denken positiv beeinflusst. Zusätzliche Forschung wird jedoch noch benötigt, um diesen Zusammenhang weiter aufzuklären.

Pruden, S. M., & Levine, S. C. (2017). Parents’ spatial language mediates a sex difference in preschoolers’ spatial-language use. Psychological Science, 28, 1583–1596. doi: 10.1177/0956797617711968

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Mariela Jaffé*, Katrin Bayer

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