Wissenschaft – genau mein Ding!

- Niklas Sekul –

Wenn sich Studierende mit der Wissenschaft identifizieren, fühlen sie sich an der Universität stärker zugehörig – und sie schreiben bessere Noten. Davon können insbesondere Erstakademiker*innen und Studierende mit familiärer Migrations­geschichte profitieren.

Können Sie sich vorstellen, beruflich einen Weg einzuschlagen, der für Ihre Familie oder Ihren Freundeskreis unüblich ist? Viele Menschen können diese Frage mit „Ja“ beantworten: Laut der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks sind hierzulande schätzungs-weise 48% der Studierenden in erster Generation an der Universität (Erstakademiker*innen). Dennoch hängt der Bildungs­erfolg in Deutschland noch immer von sozialer Herkunft und Migrations­hintergrund ab, was die folgende Frage aufwirft: Was kann die Chancengleichheit fördern? In der Vergangenheit konnte sozialpsychologische Forschung zeigen, dass Studierende bessere Noten schreiben, wenn sie sich mit der Wissenschaft identifizieren (z.B. „Die Professorin könnte denken, dass ich nicht der Richtige für die Wissenschaft bin. Aber ich weiß, dass ich es bin“). Ob insbesondere Erstakademiker*innen und Studierende mit familiärer Migrations­geschichte von einer solchen Wissenschafts­identität profitieren können, untersuchte eine kürzlich veröffentlichte Studie.

Ein Forschungs­team um Susie Chen befragte amerikanische Studierende, die sich in ihrem ersten Studien­jahr auf eine wichtige Prüfung in Biologie vorbereiteten, nach ihrer Wissenschafts­identität („Wie sehr identifizierst Du Dich mit Wissenschaft?“) und ihrem Zugehörigkeits­gefühl („Wie sehr fühlst Du Dich zur Universität zugehörig?“). In der ersten Semesterwoche beteiligte sich die eine Hälfte der Studierenden an einer Gruppen­aufgabe, die das soziale Zugehörigkeits­gefühl steigern sollte. Hierbei wurde ihnen vermittelt, dass der Übergang von der Schule zur Universität nicht ganz einfach sei und dass ihre erlebten Schwierigkeiten normal seien. Die andere Hälfte der Studierenden unternahm stattdessen typische Kennenlernaktivitäten zum Studien­beginn. Am Ende des Semesters schrieben alle ihre Abschluss­prüfung.

Die Auswertung zeigte, dass Studierende mit einer stärker ausgeprägten Wissenschafts-identität insgesamt bessere Noten erzielten als Studierende, die sich weniger stark mit Wissenschaft identifizierten. Dieser Befund war sogar noch stärker ausgeprägt bei Erstakademiker*innen und Studierenden mit einer familiären Migrations­geschichte.

Die Forschenden überprüften in einem weiteren Schritt, ob dies an einem gesteigerten Zugehörigkeits­gefühl zur Universität liegen könnte. Als sich die Forschenden die Hälfte von Studierenden anschauten, die Kennenlernaktivitäten durchgeführt hatte, zeigte sich: Erstakademiker*innen und Studierende mit familiärer Migrations­geschichte mit einer stärkeren Wissenschafts­identität erzielten bessere Noten, weil sie ein stärkeres Zugehörigkeits­gefühl zur Universität aufwiesen. Wenn die Studierenden ihr Zugehörigkeits-gefühl zur Universität in Gruppen­übungen steigern konnten, war eine hohe Identifikation mit Wissenschaft nicht mehr entscheidend, um bessere Noten zu schreiben.

Das Forschungs­team um Susie Chen konnte also zeigen, dass die Förderung einer Identifizierung mit Wissenschaft und insbesondere des Zugehörigkeits­gefühls dabei helfen kann, an der Universität bessere Noten zu schreiben. Diese Er­kenntnis könnte die Chancengleichheit fördern, sodass Studierende unabhängig von sozialer Herkunft und Migrations­hintergrund ihr volles Potential entfalten können. Ein wichtiger Schritt ist, dass sie häufiger sagen können: „Wissenschaft? Genau mein Ding!“

 

Chen, S., Binning, K. R., Manke, K. J., Brady, S. T., McGreevy, E. M., Betancur, L., Limeri, L. B., &  Kaufmann, N. (2020). Am I a science person? A strong science identity bolsters minority  students’ sense of belonging and performance in college. Personality and Social Psychology Bulletin, 47(4), 593–606. https://doi.org/10.31234/osf.io/u4z7d

Redaktion und Ansprech­partner*in¹: Sebastian Butz¹, Lea Nahon

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