Blind vor Neid? Nicht unbedingt!

- Lilly Hartmann –

Während Missgunst unsere Aufmerksamkeit vor allem auf die erfolgreichere Person lenkt, achten wir eher auf Möglichkeiten zur Selbstverbesserung, wenn wir jemanden beneiden.

„Das darf doch nicht wahr sein. Sie hat schon wieder eine glatte 1 geschrieben…“ – Vermutlich kennen die meisten von uns diese Situation: Jemand hat eine sehr gute Leistung erzielt und es schleicht sich ein Gefühl von Neid ein. Sprichwörtlich scheint dies etwas Schlechtes zu sein – denn Neid macht ja bekanntlich blind. Aber kann man das so verallgemeinernd sagen?

Tatsächlich kann sich Neid auf zwei sehr unterschiedliche Arten manifestieren. Einerseits kann sich Neid als feindselige Missgunst ausdrücken – „… und jetzt muss sie auch noch mit ihrer Note angeben, die Streberin. Wahrscheinlich hat sie gar keine Freunde und wohnt in der Bibliothek“. Andererseits kann Neid auch konstruktiv sein – „...wie macht sie das nur? Wahrscheinlich hat sie eine geniale Lern-Strategie. Ich sollte sie nach Tipps fragen“. Beneiden wir eine Person, kann dies also auch konstruktiv in uns den Wunsch wecken, uns zu verbessern. Somit nehmen wir uns die beneidete Person gewissermaßen zum Vorbild.

Wie dieses Beispiel zeigt, macht Neid also nicht zwangs­läufig blind. Ob dies tatsächlich von der Art des Neids abhängt, haben die Forscher Jan Crusius und Jens Lange untersucht. Sie gehen davon aus, dass Missgunst die Aufmerksamkeit auf die beneidete Person anstatt auf das „Objekt“ des Neids lenkt – schließlich gönnt man der Person etwas nicht und will sie abwerten oder ihr schaden. Das konstruktive Beneiden sollte die Aufmerksamkeit hingegen gleichermaßen auf die beneidete Person und das Objekt des Neids lenken. Um sich selbst verbessern zu können, möchte man schließlich von der beneideten Person lernen und sollte auch das Objekt des Neids, also das eigentliche Ziel, nicht aus den Augen verlieren.

Um diese Hypothesen zu testen, ließ das Forscherteam die Teilnehmenden ihrer Studien entweder eine Episode Revue passieren, in der sie Missgunst empfunden hatten, oder eine Episode, in der sie konstruktiven Neid verspürt hatten. Dabei sollten die Teilnehmenden sich möglichst intensiv in diese Situation hineinversetzen und sowohl den Namen der erinnerten Person als auch das Objekt der Situation, also worum sie diese Person beneideten, aufschreiben. Anschließend testeten die Forscher mit einem ausgeklügelten Aufmerksamkeits­test, ob die Teilnehmenden ihren Fokus automatisch eher auf die beneidete Person oder das Objekt des Neids richteten.

Tatsächlich führte missgünstiger Neid zu mehr Aufmerksamkeit auf die Person als auf das Objekt des Neids. Bei konstruktivem Neid war kein derartiger Unterschied zu finden. Zudem zeigte eine weitere Studie, dass konstruktives Beneiden im Gegensatz zu Missgunst die Aufmerksamkeit automatisch stärker auf Möglichkeiten zur Verbesserung lenkt. Diese Ergebnisse bestätigen die Hypothese, dass beide Arten von Neid unsere Aufmerksamkeit automatisch lenken können – selbst wenn wir unsere Gefühle von Neid vielleicht kontrollieren möchten.

Wir alle haben vermutlich schon beide Arten von Neid erlebt – feindselige Missgunst und konstruktiven Neid. Wenn wir das nächste Mal jemanden um eine glatte 1 oder andere Leistungen beneiden, können uns die Forschungs­ergebnisse vielleicht helfen, dieses unangenehme Gefühl besser zu verstehen und zu reflektieren.

Crusius, J. & Lange, J. (2014). What catches the envious eye? Attentional biases within malicious and benign envy. Journal of Experimental Social Psychology, 55, 1–11. doi: 10.1016/j.jesp.2014.05.007

Redaktion und Ansprech­partnerIn*: Janin Rössel*, Julia Engel

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