Der Vorteil mit vielen Situationen vertraut zu sein

- Jennifer Eck –

Je höher die Vertrautheit mit einer bestimmten Situation ist, desto leichter fällt es Lügen in Bezug auf diese Situation zu entlarven.

In Bewerbungs­gesprächen wird gern einmal hier und dort ein wenig geflunkert. Schließlich möchten wir uns alle in einem bestmöglichen Licht präsentieren, wenn davon ein lukrativer Job für uns abhängt. PersonalerInnen haben nun die schwierige Aufgabe die Eignung der Bewerbenden festzustellen, ohne genau wissen zu können, welche Aussagen der Wahrheit entsprechen und welche nicht. Die eine oder andere Schwindelei kann vielleicht relativ einfach anhand der Bewerbungs­unterlagen erkannt werden, aber eine Aussage darüber, wie gewissenhaft sich eine Person beispielsweise bei der Erledigung von Aufgaben an Vorgaben hält, ist nicht so einfach auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen. Beim Erkennen von Lüge und Wahrheit liegen wir nur genauso häufig richtig als würden wir bloß raten. Neuen Forschungs­ergebnissen zufolge können wir unsere Einschätzung jedoch gezielt verbessern.

Das Forschungs­team um Marc-André Reinhard von der Universität Mannheim untersuchte in einer Reihe von Studien, wie sich die Vertrautheit mit einem geschilderten Sachverhalt auf die Fähigkeit zur Lügenerkennung auswirkte. In einer Studie des Forschungs­teams sahen die Studien­teilnehmenden aufgezeichnete Bewerbungs­gespräche, in denen Personen zu einer früheren Tätigkeit befragt wurden. Die Hälfte der gezeigten Personen hatte die Tätigkeit tatsächlich schon einmal ausgeführt und sagte somit die Wahrheit; die andere Hälfte war dieser Tätigkeit noch nicht nachgegangen und erzählte daher eine Lüge. Zusätzlich wurde die Vertrautheit der Studien­teilnehmenden mit den gezeigten Tätigkeiten experimentell variiert. Während ein Teil der Teilnehmenden im Vorfeld eine kurze Beschreibung der fünf meistgenannten Tätigkeiten (u. a. als studentische Hilfskraft oder Bedienung) lesen sollte, schaute ein anderer Teil die Videos ohne zuvor etwas gelesen zu haben.

Es zeigte sich, dass Personen, die zuvor mit den Tätigkeiten vertraut gemacht worden waren, Lüge und Wahrheit deutlich besser voneinander unterscheiden konnten als Personen, die im Vorfeld keine Informationen erhalten hatten. Weitere Analysen ergaben, dass dieser Befund darauf zurückzuführen ist, dass Personen, die mit dem Inhalt einer Äußerung vertraut waren, ihr Urteil auch stärker auf inhaltliche Hinweise, wie zum Beispiel auf die Logik des Gesagten, stützten. Verschiedene Forschungs­arbeiten konnten darüber hinaus demonstrieren, dass inhaltliche Hinweise objektiv bessere Signale für eine Lüge darstellen als bestimmte Verhaltensweisen, wie beispielsweise die Vermeidung von Blickkontakt.

Vermuten wir also, dass uns jemand bezüglich einer bestimmten Situation belügen könnte, kann es von Vorteil sein, sich vorher über diese Situation zu informieren. Denn die dadurch gewonnene höhere Vertrautheit mit der geschilderten Situation kann uns dabei helfen auf die richtigen Signale zu achten und es unserem Gegenüber somit erschweren uns hinters Licht zu führen.

Reinhard, M.-A., Sporer, S. L., Scharmach, M., & Marksteiner, T. (2011). Listening, not watching: Situational familiarity and the ability to detect deception. Journal of Personality and Social Psychology, 101, 467–484.

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