Die Entscheidung über Leben und Tod

- Esther Glück –

Polizisten lassen sich nicht von Vorurteilen in die Irre führen!

Der Mensch ist nicht perfekt. Er hat nur eine begrenzte Aufnahme­fähigkeit und muss sich allzu oft in kürzester Zeit ein Urteil über viele Dinge gleichzeitig bilden. Dabei muss er entscheiden, auf was er seine Aufmerksamkeit lenken sollte, was unwichtig ist, was ihm gefährlich werden könnte und was doch eher harmlos ist. Um unsere begrenzte Aufnahme­fähigkeit nicht zu überlasten, wenden wir Regeln an, die uns helfen, Dinge schneller und ohne großen Aufwand zu beurteilen. Dazu gehören auch Vorurteile. Z.B. sollte man bei Fragen zu einem Software- Programm einen Mann zu Rate ziehenund sein Fahrrad grundsätzlich nicht im Frankfurter Bahnhofsviertel abstellen. Was nicht unbedingt heißt, dass diese Vorurteile richtig sind. Auch eine Frau kann sich mit Computern genauso gut auskennen wie ein Mann und das Frankfurter Bahnhofsviertel mag vielleicht ein abschreckender Ort sein, aber ob dort mehr Fahrräder gestohlen werden als in anderen Stadtteilen, kann man ohne einen Blick auf die Statistik nicht beurteilen.

Für Polizisten ist das Problem mit der begrenzten Aufnahme­fähigkeit besonders schwerwiegend. Während ihrer Laufbahn werden sie mehrere Male mit der Entscheidung über Leben und Tod konfrontiert. Oft müssen sie in Millisekunden richtig einschätzen können, wie gefährlich ihr Gegenüber wirklich ist. Eine Fehlentscheidung kann fatale Konsequenzen haben. Trotzdem sind Polizisten auch nur ganz normale Menschen und sind nicht frei von Vorurteilen. Sind also die fundamentalsten Entscheidungen eines Polizisten über Leben und Tod, über nicht schießen oder schießen, ebenfalls von Stereotypen geleitet?

Eine Statistik des Department of Justice von 2001 zeigt, dass ein Verdächtiger afroamerikanischer Abstammung ein fünfmal so hohes Risiko hat durch einen Polizisten getötet zu werden als ein weißer Verdächtiger. Die große öffentliche Anteilnahme an diesen Fällen regte den Forschungs­eifer in den verschiedensten Disziplinen an. Auch Sozialpsychologen wie Joshua Corell und seine Kollegen leiteten Untersuchungen mit Normalbürgern aus Denver und Polizeibeamten aus den gesamten USA. Diese mussten ein Videosimulations­spiel absolvieren, in dem sie durch entsprechenden Knopfdruck auf  eine bewaffnete Person schießen sollten, während sie bei einer unbewaffneten Person einen anderen Knopf drücken sollten. Die abgebildeten Personen waren entweder weißer oder schwarzer Hautfarbe und waren entweder mit einer großen oder kleinen, schwarzen oder silbernen Pistole bewaffnet bzw.  trugen eine große schwarze Geldbörse, ein kleines schwarzes oder silbernes Handy oder eine große silberne Coladose.

Man verglich die Entscheidungen und die Entscheidungs­geschwindigkeiten von Normalbürgern und Polizisten bei den verschiedenen abgebildeten Personen. Dabei zeigte sich, dass sowohl Polizisten als auch Normalbürger bei unbewaffneten schwarzen und bewaffneten weißen Personen langsamer reagierten als bei bewaffneten schwarzen oder unbewaffneten weißen Personen. Die Entscheidungen, dass eine schwarze Person ungefährlich oder eine weiße Person gefährlich ist, dauerten allgemein also länger als umgekehrt. Die Polizisten trafen im Vergleich zu den Laienpersonen jedoch weniger oder fast gar keine Fehlentscheidungen. Zusätzlich zu dem Fakt, dass Gemeinde­mitglieder generell langsamer in korrekten Entscheidungen waren und schlechter zwischen bewaffneten und unbewaffneten Personen differenzieren konnten, waren ihre Entscheidungen von Vorurteilen geleitet. Dies war bei Polizisten nicht der Fall oder viel schwächer ausgeprägt.

Die Forscher schlossen darauf, dass das Training mit Schusswaffen während der Polizeiausbildung einen erheblichen Einfluss auf die korrekten Entscheidungen hat, nicht jedoch auf die Geschwindigkeit der Entscheidungen. Auch bei Polizisten werden durch die Präsentation von dunkelhäutigen Personen Vorurteile aktiviert und sie brauchen somit länger, um die relevanten Hinweise zu erkennen, die ihn als harmlos kennzeichnen. Die tatsächlichen Schießentscheidungen der Polizisten werden durch die Vorurteile aber nicht beeinflusst.

Jedoch gab es auch widersprüchliche Befunde zu diesem Ergebnis, denn einige Forscher wie E. Ashby Plant und seine Kollegen hatten in ihren Ergebnissen sehr wohl ein diskriminierendes Schießverhalten bei Polizisten feststellen können. In anderen Studien zeigte sich ebenfalls, dass Polizisten, die in einem Gebiet mit höherer Kriminalitätsrate und höherer Minderheitenrate arbeiten, auch mehr Zeit für die richtige Entscheidungen brauchen, wenn es darum geht auf einen unbewaffneten Schwarzen nicht zu schießen und auf einen weißen bewaffneten Mann zu schießen.

Nichtsdestotrotz zeigen die Daten aus der Studie, dass es möglich ist, durch Training den Einfluss von Vorurteilen zu beseitigen. Fraglich bleibt, inwieweit es verantwortungs­voll ist, der amerikanischen Zivilbevölkerung Zugang zu Schusswaffen zu gewähren, wenn doch ein so intensives Training wie bei Polizeibeamten benötigt wird, um die vorurteilsfreie Wahrnehmung bei einer Entscheidung über Leben und Tod zu gewährleisten.

Corell, Park, Judd, Wittenbrink, Sadler & Keesee (2007). Across the Thin Blue Line: Police Officers and Racial Bias in Decision to Shoot. Journal of Personality and Social Psychology, 92, 1006-1023.

Correll, Park, Judd & Wittenbrink (2007). The influence of stereotypes on decisions to shoot. European Journal of Social Psychology, 37, 1102-1117.

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