Die Frage nach dem Sinn im Leben

- Kaline Mütze & Lena Weyers –

In ärmeren Nationen wird mehr Sinn im eigenen Leben gesehen als in wohlhabenderen Nationen, was vor allem an der höheren Religiosität in ärmeren Nationen liegt.

Robert ist ein wohlhabender Geschäftsmann in Kalifornien, verheiratet und Vater zweier Kinder. Jameelah lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in ärmlichen Verhältnissen in einem kleinen Dorf in Senegal. Glauben Sie, dass Robert und Jameelah gleich viel Sinn in ihrem Leben empfinden? Und falls nicht, wer sollte Ihrer Meinung nach mehr Sinn im eigenen Leben sehen?

Die Forscher Shigehiro Oishi und Ed Diener vermuteten, dass BürgerInnen armer Nationen mehr Sinn in ihrem Leben empfinden als BürgerInnen wohlhabender Nationen. Oishi und Diener nahmen weiter an, dass dieser Zusammenhang auf die größere Religiosität der Bevölkerung armer Nationen zurückgeführt werden kann, da Religion in vielerlei Hinsicht als sinnstiftend gilt. Religion gibt gläubigen Menschen Antworten auf die „größten“ Fragen des Lebens und bietet ihnen dadurch eine Verbindung zwischen ihrem Alltag und dem übergeordneten Sinn ihres Lebens.

Um seine Annahme zu  überprüfen, analysierte das Forschungs­team Daten weltweiter Umfragen mit bis zu 131 Nationen. Die Befragten gaben an, inwieweit sie in ihrem Leben einen wichtigen Sinn oder Bedeutung sahen und inwieweit Religion einen wichtigen Teil ihres alltäglichen Lebens darstellte. Zur Bestimmung des Wohlstandes einer Nation wurde das Bruttoinlandsprodukt herangezogen. Es zeigte sich, dass BürgerInnen ärmerer Nationen religiöser waren und angaben, mehr Sinn in ihrem Leben zu empfinden als BürgerInnen wohlhabenderer Nationen. Zudem zeigte sich, dass der gefundene Zusammenhang zwischen dem Wohlstand von Nationen und dem empfundenen Lebens­sinn zu einem großen Teil durch die unterschiedlich hohe Religiosität in armen und wohlhabenden Nationen erklärt werden konnte.

Alternative Erklärungen wie zum Beispiel, dass in wohlhabenderen Nationen der höhere Bildungs­status und das damit einhergehende kritischere Denken oder die geringere Anzahl an Kindern pro Haushalt die Suche nach dem Sinn im Leben erschwert, konnten durch weitere Analysen entkräftet werden. Auch die Alternativ­erklärung, dass vor allem Menschen in schwierigen Lebens­umständen allein durch die täglich nötige Arbeit einen Sinn im Leben und Überleben sehen, konnte durch folgenden Befund geschwächt werden: Wurden nur ärmere Nationen betrachtet, berichteten die religiöseren Nationen ebenfalls mehr Lebens­sinn als die weniger religiösen Nationen.

Den Ergebnissen zufolge sollte Jameelah aus unserem Eingangsbeispiel also trotz ihres mühsamen Alltags mehr Sinn in ihrem Leben sehen als der wohlhabende Robert, weil sie Religion vermutlich einen höheren Stellenwert beimisst. Wie würde es aber aussehen, wenn Jameelah und Robert vergleichbar religiös wären? Da sich die berichteten Ergebnisse auf Nationen beziehen, ist weitere Forschung nötig, um mögliche Unterschiede im berichteten Lebens­sinn zwischen vergleichbar religiösen Personen aus einer wohlhabenderen und einer ärmeren Nation erklären zu können. Darüber hinaus wäre es interessant, Religiosität in zukünftiger Forschung differenzierter zu erfassen, da ein unterschiedliches Verständnis von Religion, aber auch kulturelle Unterschiede darin, was unter hoher und geringer Religiosität zu verstehen ist, den empfundenen Sinn im Leben beeinflussen könnten.

Oishi, S., & Diener, E. (2014). Residents of poor nations have a greater sense of meaning in life than residents of wealthy nations. Psychological Science, 25, 422–430.

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