Die Leidenschaft, die Leiden schafft

- Anne Landhäußer –

Obsessive Leidenschaften gehen unter anderem deswegen mit einer geringeren Lebens­zufriedenheit einher, weil sie uns das Vergnügen an anderen Aktivitäten verderben.

Obgleich der Begriff Leidenschaft zu zahlreichen Wortspielen rund um den negativen Zustand des Leidens einlädt, empfinden Menschen Leidenschaften gemeinhin als etwas Positives. Einer Sache mit Leidenschaft nachzugehen impliziert eine gewisse Freude an der Tätigkeit. Sprechen wir von einer leidenschaft­lichen Musikerin, gehen wir eher nicht davon aus, dass diese Person sich täglich zum Üben zwingen muss, sondern nehmen an, dass sie aus dem Musizieren viel Positives schöpft. Wer einem Beruf oder einem Hobby mit Leidenschaft nachgeht, führt in der Regel ein glücklicheres Leben als Menschen, die sich mit ihrer Arbeit nicht identifizieren können und den Abend meist vor dem Fernseher verbringen.  Aber was, wenn eine Leidenschaft zur Obsession wird?

In der Psychologie wird häufig zwischen harmonischen und zwanghaften Leidenschaften unterschieden. Harmonische Leidenschaften sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zwar eine wichtige Rolle im Leben einer Person spielen, aber nicht im Konflikt zu anderen Aktivitäten stehen. Zwanghaften Leidenschaften wird dagegen un­verhältnismäßig viel Bedeutung zugeschrieben: Eine Person glaubt in dem Fall, ihr Selbstwert sei von der leidenschaft­lich verfolgten Tätigkeit (wie beispielsweise der Arbeit) abhängig und ein Leben ohne diese Tätigkeit sei nicht viel wert. Dass solche zwanghaften Leidenschaften das Wohlbefinden von Menschen auf Dauer eher verringern, haben schon einige Studien gezeigt. Eine kanadische Forschungs­gruppe um Joelle Carpentier hat sich nun der Frage gewidmet, warum dies der Fall ist.

Sie ließ über 150 Studierende ihre Lieblingsaktivität nennen und Fragebögen ausfüllen, mit denen das Ausmaß an harmonischer Leidenschaft (z. B. „Ich bin von dieser Tätigkeit absolut angetan.“) beziehungs­weise zwanghafter Leidenschaft (z. B. „Ich kann ohne diese Tätigkeit nicht leben.“) für diese Aktivität sowie ihre Lebens­zufriedenheit gemessen wurde. Darüber hinaus wurde erfasst, wie sehr die Studierenden die Ausführung der Aktivität im Regelfall genießen. Desweiteren wurde gemessen, wie sehr sie Aktivitäten, die mit ihrem Studium zusammenhängen, genießen und wieviel sie während des Studierens über ihre Lieblings­tätigkeit nachgrübeln.

Die Ergebnisse statistischer Analysen legen nahe, dass Personen mit zwanghaften Leidenschaften zu einem großen Teil deswegen weniger zufrieden mit ihrem Leben sind, weil zwanghaft Leidenschaft­liche dazu neigen, über die favorisierte Tätigkeit auch dann nachzudenken, wenn sie ihre Aufmerksamkeit eigentlich auf andere Dinge (in diesem Fall zum Beispiel das Studieren) lenken sollten. Wer im Seminar sitzt und denkt: „Oh man, wenn ich jetzt auf dem Tennisplatz sein könnte!“, der wird sich nicht mit Freude in die Diskussion stürzen, die gerade geführt wird. Wer in Gedanken über seiner Lieblingsaktivität brütet, kann sich weniger auf das einlassen, was er oder sie gerade tut und genießt es weniger – und das kann letztendlich die allgemeine Zufriedenheit verringern.

Deswegen: Leidenschaften können ein Leben bereichern! Aber über die Tennis-Leidenschaft sollte man nicht vergessen, dass man gleichzeitig auch leidenschaft­lich studieren, mit Freunden kochen, Gitarre üben oder Computer spielen kann.

Carpentier, J., Mageau, G. A., & Vallerand, R. J. (2012). Ruminations and flow: Why do people with a more harmonious passion experience higher well-being? Journal of Happiness Studies, 13, 501–518.

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