Die Macht der Gewohnheit

- Marius Kristian Schmidt –

Wenn unsere Willenskraft begrenzt ist, handeln wir verstärkt gemäß unserer Gewohnheiten, was die Erreichung unserer langfristigen Ziele sowohl positiv als auch negativ beeinflussen kann.

Warum neigen Menschen dazu, ein verführerisches Stück Kuchen zu essen, obwohl sie sich doch fest vorgenommen hatten Diät zu halten? Diese Frage wird in der Sozialpsychologie gerne mit dem Ressourcen­modell der Willenskraft beantwortet. Nach diesem Modell speist sich unsere Willenskraft aus einer inneren, nur begrenzt zur Verfügung stehenden Ressource. Jeder Akt der Willenskraft minimiert diese endliche Ressource, sodass es nach einer entsprechenden Reduktion zu Ego-Depletion, einer Erschöpfung der Willenskraft, kommt. Dies reduziert die Fähigkeit sich in anschließenden Aufgaben kontrollieren zu können, sodass  beispielsweise das Verzehren eines Stücks Kuchen trotz  des Diätwunsches wahrscheinlicher wird.

Ein US-amerikanisches Forschungs­team um David Neal betrachtete dieses sozialpsychologische Konzept aus einer neuen Perspektive. Es nahm an, dass die Erschöpfung der Willenskraft nicht nur negative Aus­wirkungen hat. Das Forschungs­team postulierte, dass eine reduzierte Willenskraft dazu führt, dass wir verstärkt gemäß unserer Gewohnheiten handeln – bildlich gesprochen die Macht der Gewohnheit unser Handeln bestimmt. Da Gewohnheiten sowohl förderlich als auch abträglich für die Erreichung unserer langfristigen Ziele sein können, kann die Erschöpfung der Willenskraft im Falle von zielinkongruenten Gewohnheiten zu zielinkongruenten Verhaltensweisen und im Falle von zielkongruenten Gewohnheiten zu zielkongruenten Verhaltensweisen führen. Verfolgen wir zum Beispiel das langfristige Ziel Diät zu halten und kommen nach einem langen Arbeits­tag mit erschöpfter Willenskraft nach Hause, so ist es abhängig von unseren Gewohnheiten, welches Verhalten wir zeigen: essen wir einen Apfel (zielkongruentes Verhalten) oder ein Stück Kuchen (zielinkongruentes Verhalten)? 

Diese Annahme wurde in einer Studie überprüft. Zunächst wurden die Gewohnheiten der Studien­teilnehmenden sowie deren Stärke erfasst (z.B. was esse ich zum Frühstück und wie häufig). In einer sich anschließenden Klausuren­phase – in der die Willenskraft aufgrund der mit den Klausuren verbundenen Anstrengungen reduziert war – sollten die Teilnehmenden ihre Verhaltensweisen dokumentieren. In Einklang mit der Theorie zeigte sich, dass in der Klausuren­phase typisches Verhalten häufiger gezeigt wurde und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um erwünschte oder unerwünschte Verhaltensweisen handelte (z.B. Müsli versus Pfannkuchen zum Frühstück essen). Dieser Befund konnte in weiteren Laborexperimenten und Feld­studien repliziert werden.

Diese Er­kenntnisse können wir nutzen, um einen gesunden Lebens­stil zu entwickeln. Ein gesunder Lebens­stil ist nämlich nicht nur von einer entsprechenden Zielsetzung, sondern auch von der Interaktion zwischen unseren Zielen und unseren Gewohnheiten abhängig. Wollen wir unliebsame Verhaltensweisen wegtrainieren oder gewünschte Verhaltensweisen aufbauen, sollte unsere Willenskraft möglichst hoch sein. Es scheint so, als würden die in Phasen der Willenskraft antrainierten positiven Gewohnheiten dann auch in Phasen, in denen unsere  Willenskraft erschöpft ist, ganz automatisch praktiziert werden.

Neal, D. T., Wood, W., & Drolet, A. (2013). How do people adhere to goals when willpower is low? The profits (and pitfalls) of strong habits. Journal of Personality and Social Psychology, 104, 959–975. doi: 10.1037/a0032626.

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