Gib mir Macht und ich sage Dir, was du denkst und fühlst

- Jennifer Eck –

Macht zu besitzen führt zu einer besseren Einschätzung der Gedanken und Gefühle anderer.

Im Umgang mit anderen Menschen versuchen wir häufig anhand dessen, was unser Gegenüber sagt und mit seinem Gesichtsausdruck oder anderen nonverbalen Zeichen vermittelt, auf Gedanken und Gefühle zu schließen. Aber wie gut gelingt uns das?Eine Forscher­gruppe um Marianne Schmid Mast fand nun heraus, dass Personen mit viel Macht die Gedanken und Gefühle anderer besser einschätzen können als Personen mit wenig Macht. Eine machtvolle Person zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf andere Personen Einfluss nehmen oder diese kontrollieren kann, während eine Person mit wenig Macht dem Einfluss oder der Kontrolle anderer Personen unter­liegt. Demnach  sollten also zum Beispiel die Einschätzungen von Vorgesetzten besser sein als die ihrer Angestellten und die von Prüfenden besser als die ihrer Prüflinge.

Um ein Gefühl von viel beziehungs­weise wenig Macht zu induzieren, sollten  sich Studierende in einem Experiment der Forscher­gruppe an eine Situation erinnern, in der sie  entweder viel oder wenig Macht gehabt hatten, und diese mit ihren dabei empfundenen Emotionen beschreiben. Eine Kontroll­gruppe berichtete über den Ablauf des vorhergehenden Tages. Im Anschluss bekamen alle drei Gruppen eine Reihe von Bildern mit Gesichtern gezeigt und sollten jeweils angeben, welche Emotionen darauf zu sehen waren.

Es zeigte sich, dass Personen, die sich zuvor an ein machtvolles Ereignis erinnert hatten, die dargestellten Emotionen deutlich häufiger richtig einschätzten als Personen, die wenig Macht empfanden, oder Personen der Kontroll­gruppe. Zwischen den Personen der Kontroll­gruppe und denjenigen, die das Gefühl von wenig Macht hatten, zeigten sich allerdings keine bedeutsamen Unter­schiede. Daraus zogen die ForscherInnen den Schluss, dass viel Macht die Einschätzung verbessert, wenig Macht sie jedoch nicht verschlechtert. Außerdem berichteten Personen mit Macht mehr positive, Personen mit wenig Macht hingegen mehr negative Emotionen in ihren geschilderten Situationen. Vor allem die Gefühle Stolz und Respekt hatten einen starken Einfluss auf den Zusammenhang zwischen empfundener Macht und Güte der Einschätzung. Das lässt sich wie folgt erklären: Wenn sich eine Person in ihrer Machtposition stolz und respektiert fühlt, wird ihre Einschätzung anderer Personen besser, weil die Gedanken und Gefühle anderer zu kennen und angemessen darauf zu reagieren Anerkennung verspricht und die eigene  Machtposition sichern bzw. stärken kann.

Unsere Machtposition beeinflusst also nicht nur, wie wir uns gegenüber anderen verhalten, sondern auch wie gut wir andere  wahrnehmen und ihre Emotionen einschätzen  können. Darüber hinaus profitieren Personen mit Macht mehr von der korrekten Einschätzung ihres Gegenübers. Beispielsweise sind es die Vorgesetzten, die Entscheidungen treffen müssen, die auf Informationen anderer basieren, die Prüfenden, die mit ihren Benotungen einen entscheidenden Einfluss auf die Zukunft der Prüflinge nehmen können oder die Führenden einer Gruppe, die für den Zusammenhalt und die Harmonie zwischen den Mitgliedern zu sorgen haben.

Schmid Mast, M., Jonas, K. & Hall, J. (2009). Give a Person Power and He or She Will Show Interpersonal Sensitivity: The Phenomenon and Its Why and When. Journal of Personality and Social Psychology, 97, 835–850.

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