Hauptsache gut gemeint

- Martin Schnürch –

Die Wahrnehmung einer guten Absicht kann unser Schmerzempfinden lindern und empfundenes Vergnügen verstärken.

Wie reagieren wir auf einen guten Freund, der uns eine Nettigkeit angedeihen lässt wie: „Du bist wirklich fett geworden!“? Natürlich, es kommt darauf an: Glauben wir, dass er den Kommentar ernst meint? Dann werden wir vielleicht traurig oder beleidigt reagieren. Ist offensichtlich, dass er nur einen Scherz gemacht hat? Dann werden wir uns wohl eher amüsieren. Es gibt viele Situationen im Alltag, die aus ihrem Kontext genommen nicht eindeutig wären. Unsere Wahrnehmung sozialer Reize – also des Verhaltens oder der Äußerungen anderer Menschen uns oder anderen gegenüber – ist fast immer abhängig von der Situation, in der wir sie wahrnehmen.  Physische Reize dagegen erscheinen wesentlich eindeutiger: eine Ohrfeige schmerzt, ein Stück Schokolade schmeckt süß, unabhängig von der Situation, in der sie uns dargeboten werden.

Dass diese einfache Regel (soziale Reize sind ambivalent und kontextabhängig, physische Reize dagegen eindeutig) nicht immer zutrifft, ist innerhalb der Psychologie längst bekannt: Eine wahrgenommene böse Absicht verstärkt die Empfindung schmerzhafter Reize. Spannend ist nun, wie weit der Einfluss wahrgenommener Intention bei physischen Reizen tatsächlich reicht. Wenn böse Absichten unangenehme Empfindungen verstärken, können gute diese abschwächen? Und wie verhält es sich mit angenehmen Empfindungen?

Dieser Fragen nahm sich der amerikanische Psychologe Kurt Gray  an. Sein Ziel war, die Unterschiede in der Wahrnehmung physischer Reize in Abhängigkeit von ihrem Kontext zu beobachten. Er untersuchte, wie Versuchspersonen Elektroschocks (schmerzhafte Reize) oder Massagen (angenehme Reize) empfanden, die ihnen zugeteilt wurden. Dabei variierte er, welche dahinterstehende Absicht sie jeweils wahrnahmen: Boshaftigkeit (Jemand teilt mir den Schock zu, um mir Schmerzen zu bereiten), Wohlwollen (Jemand wählt den Schock aus, weil er/sie denkt, ich bekäme dafür ein Lotterielos, bzw. Jemand wählt die Massage aus, um mir etwas Gutes zu tun) oder keine Absicht (der Computer hat den Schock/die Massage zugeteilt). Wenn physische Reize kontextunabhängig wahrgenommen würden, sollten sich die Empfindungen der spezifischen Reize unter verschiedenen Bedingungen nicht unterscheiden. Tatsächlich aber unterschieden sich die Wahrnehmungen der Reize sehr wohl: Elektroschocks wurden bei vermuteter Boshaftigkeit als schmerzhafter empfunden als vermeintlich unabsichtlich gegebene Schocks. Wurden sie dagegen in vermeintlich guter Absicht gegeben, waren sie weniger schmerzhaft. Und eine angenehme Massage fühlte sich sogar noch besser an, wenn sie scheinbar gut gemeint war, als wenn sie angeblich ohne Intention zugeteilt wurde.

Wie Gray damit zeigt, müssen wir also einen Einfluss von wahrgenommenen Intentionen auf die Empfindung physischer Reize annehmen. Dies gilt nicht nur für böse Absichten, sondern auch für gute, und es umfasst nicht nur Schmerz, sondern ebenso angenehme Empfindungen. Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass Omas mit Liebe gebackenen Plätzchen immer besser schmecken als die aus dem Super­markt. Und vielleicht sollte es Anlass für uns sein, anderen Menschen öfter mal gute Absichten zuzutrauen. Letztendlich profitieren wir selbst davon.

Gray, K. (2012). The power of good intentions: Perceived benevolence soothes pain, increases pleasure, and improves taste. Social Psychological and Personality Science, 3(5), 639–645.

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